Die Macht der Masse - Deutsche Oper Berlin

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Die Macht der Masse

In vielen Opern spielt der Chor eine zentrale Rolle, er verkörpert die Stimme des Volkes. Verdi erkannte, dass diese Stimme auch bedrohliche Züge annehmen kann

Am Anfang steht die Hoffnung. In NABUCCO, seinem ersten Welterfolg, malt der 29-jährige Giuseppe Verdi seinen Landsleuten eine Zukunft in rosigen Farben: Unter der Führung eines geläuterten Herrschers schließen die verfeindeten Völker Israels und Babylons Frieden. Ihren Willen zur Harmonie bekräftigen sie eindrucksvoll durch eine Hymne, in der sich die bislang getrennt voneinander singenden Nationen zu einer gemeinsamen Stimme vereinen.

Nicht nur den Besuchern der Uraufführung an der Mailänder Scala im März 1842 dürfte klar gewesen sein, dass die alttestamentarische Handlung des Werks in Wirklichkeit eine Stellungnahme zur aktuellen Konfliktlage zwischen Italienern und Österreichern war, die damals den Norden Italiens besetzt hatten. Der junge Komponist hatte sein Werk einer Erzherzogin aus dem Hause Habsburg gewidmet; dass am Ende der Uraufführung ausgerechnet die Friedenshymne »Immenso Jehova» und nicht etwa der heute berühmte Gefangenenchor wiederholt werden musste, ist ein Indiz dafür, dass dieser Friedensappell dem Publikum aus dem Herzen sprach.

Dass dem Chor eine derart aktive Rolle eingeräumt wurde, war damals in der italienischen Oper ziemlich unerhört: Im Wesentlichen waren die romantischen Opern Tragödien einsam vor sich hin leidender Heldinnen und Helden gewesen, deren Schicksalen die Chöre von Kriegern und Höflingen meistens tatenlos zuschauten. Doch nun trat ein Komponist auf, der dem Volk eine Stimme verlieh – und in Verdis nächsten Opern waren es kennzeichnenderweise gerade die großen Chornummern, die zu Hits wurden. Ob die Kriegschöre in I LOMBARDI und ATTILA oder der Klagegesang über die verwüstete schottische Heimat im MACBETH: Verdi konnte die Gefühle der Massen zum Ausdruck bringen. Und ihnen auf der Bühne die Möglichkeit vorspielen, ihr Schicksal zu artikulieren und in die eigene Hand zu nehmen.

Ziel war natürlich die Einigung Italiens. Umso erstaunlicher, dass dieser Impetus sich bei Verdi gerade dann ins Gegenteil verkehrte, als diese kollektive Sehnsucht endlich Wirklichkeit wurde: Quasi von dem Augenblick an, in dem sich das Königreich Italien zu formieren begonnen hatte, präsentieren die Opern Verdis das Volk nur noch als manipulierbare Masse. Seien es die Spanier im DON CARLO, deren zaghafte Revolte sofort durch eine entschiedene Drohgebärde von Krone und Kirche abgewürgt wird.

Oder die Ägypter in AIDA, die nur als Jubelstaffage für die Selbstdarstellung der autoritären Staatsmacht herhalten. Ein Wechsel, der auch die persönliche Enttäuschung Verdis über die Folgen der Einigung zu spiegeln scheint. Der bekennende Priesterfeind Verdi war frustriert, dass sich das neue Italien zwecks Herrschaftssicherung mit dem reaktionären Papsttum verbündete.

Nirgendwo ist diese Desillusionierung so stark und zugleich so detailliert in Szene gesetzt wie in LA FORZA DEL DESTINO, wo die meist ausufernde Szene der Oper allein der Darstellung der Verrohung des Volks durch Krieg und Elend gewidmet ist. Als hätte Verdi hier die Schrecken des Kriegs mit der gleichen Intensität auf die Bühne bringen wollen, mit der sie das Publikum in den Zeitungsreportagen über den zeitgleichen amerikanischen Bürgerkrieg in den 1860er Jahren lesen konnte. Tatsächlich ist das Volk in LA FORZA DEL DESTINO so präsent wie nie zuvor und auch niemals später bei Verdi. Vor allem leistet er hier etwas, was vor ihm nur sein Kollege Giacomo Meyerbeer in seinen HUGUENOTS und seinem PROPHETE vollzogen hatte: Er liefert keine folkloristische Momentaufnahme, sondern zeigt, wie Menschenmassen unter dem Einfluss der Verhältnisse – oder auch der Politik – degenerieren können.

Verdis innovativer Umgang mit dem Chor aber unterstreicht einmal mehr seine Stärke als politischer Chronist, der seiner eigenen, bewegten Zeit den Spiegel vorhält.

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