Ein Essay von Katharina Duda

Fontanes Tochter Martha

Vorbild für die Titelfigur Oceane – eine melusinische Frau

Für seine neue Oper OCEANE hat Detlev Glanert nicht bloß die literarischen Werke des Schriftstellers Theodor Fontane gelesen, auf dessen unvollendeter Novelle „Oceane von Parceval“ das Stück um die schweigsame Frau am Meer basiert. Die Nixen- und Meerjungfrauen-Thematik von de la Motte-Fouqué bis C.G. Jung schwimmt ebenso durch die Partitur wie der Briefwechsel der Familie Fontane. Martha Fontane, die Tochter des Schriftstellers, nimmt darin eine zentrale Stellung ein. Für Detlev Glanert ist sie das Vorbild seiner Titelfigur Oceane. Als typische Wasserfrau in bürgerlich-realistischer Kulisse sehnt diese mysteriöse Fremde, die ihren Schmuck in der Obstschale aufbewahrt, sich nach Liebe und Wärme. Doch in der Gesellschaft der Menschen, in der neuen Zeit von Telegraf und Eisenbahn, findet sie keinen Platz für sich. Am Ende bleibt nur der Weg „zurück“ ins Meer. Ein Selbstmord? Eine Heimkehr?

„… ich bin nicht dafür sich immer gleich für das Leben zu attaschieren…“
Martha Fontane, 8. März 1881

Ins Meer ging sie zwar nicht, doch diente Martha, genannt Mete, ihrem Vater zeitlebens als „Persönlichkeitsmuse“. Frauengestalten wie Corinna Schmidt in „Frau Jenny Treibel“ oder Effi Briest tragen ihre Züge. Und tatsächlich hatte sie wohl bisweilen etwas Nixisches an sich: „… ich bin nicht dafür sich immer gleich für das Leben zu attaschieren…“, schreibt Martha am 8. März 1881 in einem Brief an die Mutter. Die Familie Fontane schickte sich regelmäßig lange Briefe: von Reisen, Kuraufenthalten, zu besonderen Anlässen oder alltäglichen Belangen. Gute Briefe zu schreiben galt als besondere Auszeichnung in der literarisch gebildeten Schriftstellerfamilie. Die Familienmitglieder reichten sich ihre Briefe wechselseitig herum: ein Familiengespräch auf Papier. Das Briefnetz um Theodor und Martha Fontane liegt mittlerweile in einer hervorragenden kritischen Ausgabe vor.

Wer also war Martha Fontane? Geboren wurde des Dichters „alte Tochter“, wie sie sich in Briefen gerne bezeichnete, 1860 als drittes Kind von Theodor und Emilie Fontane. Es war eine relativ gute Zeit, die Familie war gerade endgültig aus London zurückgekehrt, die Verhältnisse begannen sich zu stabilisieren. Vier Jahre später wird der jüngere Bruder Friedrich geboren, doch Martha bleibt als einzige Tochter das erklärte Lieblingskind des Vaters. „Papas pet“ nennt ihr Bruder Theo sie in einem Brief zum siebzehnten Geburtstag und beschreibt ironisch die „Eroberungen“ der Schwester: „Lehrjungen“, „Polytechniker“, „Studenten“, „Juristen“… Die Familie bliebe aber doch das Beste.

Papas pet für den Bruder, für die Mutter eher ein Sorgenkind: Ihre Rolle als Liebling des Vaters sorgt mitunter für Konflikte. In einem Brief spricht die Familienfreundin Anna Witte einmal sogar versehentlich von „dein[em] Mann“. Die latente Inzestproblematik hat Fontane in verschiedenen Werken behandelt, nicht zuletzt in „Ellernklipp“, einer weiteren Nixengeschichte. Martha selbst muss den Konflikt im Leben austragen: Als Vaterkind bleibt sie lange unverheiratet, lebt als „alte Jungfer“ zuhause bei den Eltern. Das Verhältnis zur Mutter, an deren Liebe sie mitunter zweifelt, ist schwierig, aber doch auch wieder eng. Die Familienkorrespondenz wird wesentlich von den beiden Frauen bestritten. Martha ist Vertraute, Hausmütterchen, Stütze der Eltern, die sich zunehmend auf sie verlassen. Erst kurz vor Fontanes Tod entschließt sie sich zur Ehe mit dem 22 Jahre älteren Karl Emil Otto Fritsch.

Martha Fontane war eine Frau des 19. Jahrhunderts. Sie schnürt sich, träumt davon, Ehefrau und Mutter zu sein. Doch als begabtes Schriftstellerkind hat sie auch andere Wünsche: Ihre beinahe „jungenhafte Wildheit“ zeigt sie noch im Erwachsenenalter bisweilen in Form einer spitzen Zunge. Ihre Briefe sind lebendig, humoristisch, herablassend… 1883 reicht Theodor Fontane eine Novelle seiner Tochter bei der Illustrierten Frauen-Zeitung ein. Der Text wird wegen fehlender Handlung und „anderer Mängel“ abgelehnt und gilt heute als verschollen. Martha bleibt Beraterin des Vaters in literarischen Angelegenheiten, übersetzt für ihn Wendungen und Briefe ins Französische. Nach seinem Tod übernimmt sie die Vorbereitung der Familienbriefe zur ersten Veröffentlichung, wobei sie aber „keinesfalls als Herausgeberin oder Mitherausgeberin“ auftreten möchte. Aus Bescheidenheit?

Anders als ihren Brüdern war Martha Fontane eine akademische Laufbahn oder Karriere im engeren Sinne verschlossen: Frauen wurden in den 1870er-Jahren noch nicht zu Abitur und Studium zugelassen. Stattdessen besucht Fontanes Tochter eine höhere Mädchenschule und absolviert eine Lehrerinnenausbildung am Königlichen Lehrerinnen-Seminar zu Berlin. 1880/81 ist sie Privatlehrerin und Erzieherin auf dem pommerschen Gut Kleindammer. In ihren Briefen schreibt sie von Langeweile – ein Stadtkind aus intellektuellen Kreisen unter Landjunkern – , von ihrem Ärger über den Standesdünkel ihrer Arbeitgeber, der Familie von Mandel, Dankbarkeit für ihre dennoch als angenehm empfundene Position, Schwierigkeiten mit der ältesten Tochter Ella... Und immer wieder von ihrer Liebe zur Natur! Von langen Spaziergängen, auf denen sie sich gerne einen Schnupfen holt, solange ihr nur der frische Wind um die Nase pfeift, von Freude an schönen Frühlingstagen, einsamen Stunden im Garten oder auf abgelegenen Wegen.

Ein Naturkind also, eine Nixe? Vor übermäßigem Baden warnt Theodor Fontane seine Tochter in einem Brief, den er ihr in den Sommerurlaub nachschickte. Sie stamme nicht von dieser Seite der Familie ab – womit die französisch-hugenottischen Wurzeln der Fontanes gemeint sind, die empfundene Nähe zu Lusignan, dem Stammort der Melusinensage. In seinen Texten jedenfalls macht Fontane Martha immer wieder zum Vorbild melusinischer Frauen, etwa in einer Anspielung in „Effi Briest“: „Liebhaber oder Bonvivant. Und vielleicht noch mehr, vielleicht war er auch ein Tenor“, so wird Major Crampas scherzhaft vorausdeutend beschrieben. In den Tenor Julius Stockhausen hatte sich Martha Fontane Ende der 1870er Jahre verliebt, als sie im Haus der Familie als Erzieherin und Freundin verkehrte. Über das Liebesgeständnis kommt es zum Eklat, der sich allerdings – anders als in Fontanes Romanen – mit der Zeit in Wohlgefallen auflöste. Die Familien blieben befreundet, die „Stockhausen-Affäre“ war vergeben und vergessen.

Schon in Jugendjahren hatte Martha gesundheitliche Probleme: Es beginnt 1879, noch vor Antritt ihrer Stelle in Kleindammer, mit einer Typhuserkrankung, die sie monatelang ans elterliche Haus fesselt. In ihrem Jahr als Erzieherin kommen Unterleibsschmerzen, Lähmungserscheinungen, Schlafstörungen hinzu, später auch manisch-depressive Angstzustände und Gemütsschwankungen. Mit „den Nerven“ hatten alle Fontanes zu schaffen, Schonung und Rücksicht fordern vor allem die Eltern regelmäßig ein. Doch auch in Nervenleiden wird Martha zum ausgewiesenen „Sorgenkind“. Ihre Angstzustände verschlimmern sich im Alter noch, Familienfreunde sprechen ganz selbstverständlich davon, dass es „mal wieder grauslich mit die Nerven“ sei. Auch die Ehe mit Karl Fritsch, einem verständnis- und liebevollen Ehepartner, ändert hieran nichts.

Die Zeitenwende um 1900 wirft ihre Schatten auch auf die verbliebenen Fontanes: Vor allem Martha fühlt sich fremd in der modernen Welt des angebrochenen 20. Jahrhunderts, sehnt sich zurück in die Zeit ihrer Jugend, die Zeit ihrer Väter- und Elterngeneration. Als der erste Weltkrieg ausbricht, werden die Söhne der Verwandten und Freunde eingezogen – viele von ihnen fallen noch im ersten Kriegsjahr. 1915 stirbt Karl Fritsch. Martha vereinsamt immer mehr, pendelt zwischen ihrer Wohnung im Grunewald und der Villa in Waren. Am 10. Januar 1917 stirbt sie nach einem Sturz aus dem Fenster. Ein Ende, so nüchtern und tragisch wie das ihrer literarischen Schwestern. Auch hierin ist sie noch Kind des Vaters: Theodor Fontanes Mete.

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