Was mich bewegt ...

Ihr fehlt uns!

Leere Stuhlreihen, kein Buh, kein Jubel: Ohne Sie, unser Publikum, ist Oper nichts. Ihre Wärme belebt uns, Ihr Applaus belohnt uns und Ihre Kritik treibt uns an. Eine Liebeserklärung von Jörg Königsdorf

Mehr zu diesem spannungsreichen Verhältnis diskutieren wir hoffentlich gemeinsam mit Ihnen beim Symposion „Die Oper und ihr Publikum“ im Mai 2021

7. bis 9. Mai 2021

Theater ohne Menschen sind Orte ohne Sinn. Die leeren Sitzreihen unseres Hauses verweisen gerade eindringlich auf das, was hier fehlt. Menschen, die leise rascheln, atemlos lauschen, schüchtern husten, begeistert klatschen, sich lautstark empören. Es fehlt das Publikum, diese Resonanzfläche jeder Aufführung, lebendiger Teil des »Abends«. Und wie diese atmende, empfindende, mitschwingende Menge Menschen den Verlauf und die Qualität eines Abends beeinflusst, weiß jeder, der schon einmal auf einer Bühne gestanden hat. Das Publikum ist die Macht, die sich am Ende aufbaut: Wenn das Publikum mit seinem Applaus zum Akteur wird.

Das Berliner Filmteam Datenstrudel hat dazu ein spannendes Experiment aufgenommen. Die Besucher einer Aufführung des Staatsschauspiels Hannover wurden gebeten, am Ende auf jegliche Reaktion zu verzichten. Die (vorher informierten) Schauspieler verbeugten sich vor einer Mauer des Schweigens. Eine für Zuschauer wie Darsteller gleichermaßen verstörende Erfahrung. Er habe das zutiefst unangenehme Gefühl gehabt, so einer der Besucher, den Künstlern den Lohn für ihre Arbeit vorzuenthalten.

Applaus als Lohn. Mehr noch als im Schauspiel gilt das für die Oper, weil hier die Spannungskurve der Musik die emotionale Beteiligung des Publikums naturgemäß intensiviert – in den meisten Werken ist dieser Einsatz quasi mit einkalkuliert. Die spektakulären hohen Töne, mit denen etliche der berühmtesten Arien enden, sind ja nicht nur vokale Ausdrucksgesten von Jubel, Furor oder Verzweiflung, sondern eben auch bewusste Applausauslöser – nichts wäre für eine Sängerin von Donizettis LUCIA DI LAMMERMOOR so niederschmetternd, als wenn nach ihrer Wahnsinnsszene niemand klatschen würde.

Und nirgends ist die Reaktion des Publikums so sehr nicht nur Teil, sondern sogar Höhepunkt des Abends wie bei Premieren. Denn nur hier haben die Besucher*innen die Möglichkeit, dem Kreativteam der Neuproduktion ihre Ansicht beim Schlussapplaus kundzutun – und allein für diese Möglichkeit der ersten Meinungsäußerung ist das Premierenpublikum bereit, einen nicht unerheblichen Aufpreis zu zahlen. Dabei verschiebt sich der Fokus des Premierenapplauses seit Jahrzehnten auf die Regisseure. Während es bei Sänger*innen und Dirigent*innen nur noch darum geht, wer den stärksten Beifall einheimst und vereinzelte Buhs als exzentrische Statements überzüchteter Opern-Nerds weggelächelt werden, ist die Applausabstimmung über die Regie der Augenblick, auf den alle hinfiebern. Denn hier geht es nicht um Belohnung der Akteure, sondern darum, wie einst bei den römischen Gladiatorenkämpfen, den Daumen zu heben oder zu senken – mitzuentscheiden, zwar nicht über Leben oder Tod, aber über das Schicksal einer Produktion.

Unfreiwillig macht das Publikum gerade dadurch die Regisseure zu den Stars des Abends – deren Erscheinen mit der größten Ungeduld erwartet wird. Und die scheinen jeder auf seine Weise den Moment im Rampenlicht zu genießen: ob Altmeister Hans Neuenfels mit seiner betont grandseigneurartigen Noblesse oder Frank Castorf mit provokanter »Was höre ich da?«-Geste angesichts der tumultösen Reaktionen auf seine FORZA DEL DESTINO. Regisseure inszenieren eben auch ihren eigenen Auftritt – und sei es durch das Aufsetzen einer Clownsnase wie Rolando Villazón bei der Premiere seiner Berliner FLEDERMAUS.

Kein Wunder, dass der Hauptaufreger bei der Premiere von Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL nicht die Inszenierung selbst war – obwohl die an Radikalität nichts zu wünschen übrigließ, sondern der Umstand, dass der argentinische Regisseur Rodrigo García sich am Ende dem Publikumsvotum glatt verweigerte und nicht auf die Bühne kam. Doch in der Regel weiß jede*r Regisseur*in, dass ihr Auftritt später »talk of the town« sein wird – und dass sie gerade denjenigen, die am lautesten buhen, am stärksten in Erinnerung bleiben wird. Ebenso wie gerade die umstrittensten Inszenierungen später oft zu Kultproduktionen werden – die Versionen des RING DES NIBELUNGEN von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin und von Patrice Chéreau in Bayreuth sind da nur die bekanntesten Beispiele.

Denn natürlich ist schon allein die Heftigkeit einer Premierenreaktion der beste Beweis dafür, dass es hier um etwas geht: Geliebtes gegen Entstellung zu verteidigen, Fragen, die ein Künstler stellt, abzulehnen – oder begeistert abzuheben. Eine Auseinandersetzung, die hoffentlich bald wieder geführt werden kann. Und zwar so laut und emotional wie möglich.

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