Ivan Repusic – Mein Seelenort: Das Mittelmeer vor Split, Kroatien - Deutsche Oper Berlin

Ivan Repusic – Mein Seelenort: Das Mittelmeer vor Split, Kroatien

Dirigent Ivan Repusic führt bei TOSCA den Taktstock. Auf einem Hügel nahe der kroatischen Küstenstadt Split durchschreitet er in Gedanken die Partitur

Giacomo Puccini: Tosca
Dirigent: Ivan Repusic
Inszenierung: Boleslaw Barlog
Mit Carmen Giannattasio; Marco Berti, Ambrogio Maestri u. a.
8., 11. Dezember 2021

Mein Seelenort ist das Meer. Ich bin regelrecht süchtig danach. Vor drei Jahren bin ich mit meiner Familie von Deutschland zurück nach Split gezogen, an die Küste Dalmatiens in Kroatien. Ich wollte dem Meer wieder näher sein. Lange halte ich es im Landesinneren nämlich nie aus. Ich bin nicht weit von Split entfernt aufgewachsen, in der Hafenstadt Zadar. Meine Kindheitserinnerungen sind ganz eng mit dem Meer verbunden. In Dalmatien gehen wir nicht einfach ans Ufer, um eine schöne Zeit zu verbringen, wir sind hier schließlich keine Urlauber. Wir leben mit dem Meer. Es ist allgegenwärtig, auch wenn wir es gerade nicht sehen. Es hat die Menschen geprägt: als Handelsweg, der die Kulturen zusammenbrachte, als Nahrungsquelle und als Ort der Inspiration und Erholung. Wenn ich an meinen Seelenort denke, habe ich kein konkretes Bild im Kopf, keine bestimmte Uferlinie. Das Meer ist einfach da, und man spürt es, wenn man hier aufgewachsen ist.

Es gibt allerdings einen Ort, der für mich in den letzten Jahren eine besondere Bedeutung bekommen hat, er liegt natürlich am Meer, nämlich der Marjan-Park. Der Marjan ist ein kleiner Berg auf einer Halbinsel, die westlich der Altstadt von Split ins Meer ragt. Von hier hat man einen einmaligen Blick auf die Stadt – man sieht die Uferpromenade, die Kirchtürme, die Plätze. Sogar den berühmten Diokletian-Palast kann man in seinen Umrissen erahnen. Und in der anderen Richtung erstreckt sich bis in den Horizont die Weite des Meeres. Seit der Corona-Zeit komme ich fast jeden Tag hierher, am liebsten gleich morgens. Sobald ich die Halbinsel mit meinem Fahrrad erreicht habe, atme ich tief ein, denn dort ist die Luft klarer und sauberer als in der Stadt. Es duftet nach den Nadeln und dem Harz der Aleppo-Kiefern, die die Hügel bedecken. Der Marjan steht seit den 1960er Jahren unter Naturschutz, wir Splitianer nennen ihn die grüne Lunge der Stadt. Wenn ich hier oben bin, in die Ferne schaue und lausche, wie sich der Klang des Windes mit dem Rauschen des Meeres mischt, überkommt mich eine große Ruhe. Ich habe ein Ritual, dem ich mich hier oft widme: Vor jeder Aufführung spaziere ich vormittags durch die Natur und gehe im Kopf die Partitur für den Abend durch – von Anfang bis Ende. Die Noten kann ich auswendig, also durchschreite ich die Komposition gedanklich mit allen Details und im richtigen Tempo. Das dauert dann natürlich zwei bis drei Stunden, eben ungefähr so lange wie der eigentliche Konzertabend. Ich bin in diesen Momenten ganz konzentriert und bei mir. Die Musik spielt in meinem Kopf. Ich musste mir sogar angewöhnen, meine Hände in die Hosentaschen zu stecken, damit ich beim Gehen nicht unwillkürlich anfange zu dirigieren. Ich bemerke das gar nicht, aber für andere wirkt es wohl ein wenig verrückt.

Bei seinen Spaziergängen am Meer besucht Repušic regelmäßig den berühmten Diokletian-Palast am Hafen der Altstadt von Split © Matko Biljak
 

Das Meer regt bei mir noch eine andere Form des Denkens an. Beim Schwimmen kommen mir oft Ideen für das musikalische Programm meiner Orchester, hier finde ich Inspiration für neue Aufführungen und Kooperationen. Die Bewegung beim Schwimmen ist intensiver als beim Spazieren, ich werde dadurch automatisch fantasievoller und kreativer. Und was Außenstehende vielleicht nicht wissen: Das Dirigieren ist eine auch physisch anspruchsvolle Tätigkeit. Wir Dirigenten brauchen eine gute Kondition. Deswegen finde ich in der Bewegung meine Ruhe. Stundenlang am Meer nur herumzustehen und zu angeln, das wäre nichts für mich.

Der Marjan-Park liegt auf einem Hügel, von hier aus blickt der Dirigent auf das Meer. Am Horizont erkennt er die Sihouetten der Inseln von Dalmatien © Matko Biljak
 

Hier auf dem Berg denke ich auch über TOSCA nach. Meine Leidenschaft gilt so vielen großartigen Opern, aber mit den italienischen verbindet mich meine Herkunft: Denn Italien spielte in der Geschichte Dalmatiens immer schon eine wichtige Rolle. In der Musik, der Architektur, sogar in der Sprache lässt sich der Einfluss der Großmacht Venedig erkennen. Im dalmatinischen Dialekt gibt es noch heute viele Italianismen. Kroatien ist überhaupt sehr heterogen, ich finde das bereichernd. Die italienische mediterrane Lebensart hat die Menschen hier ebenso geprägt wie das österreichisch-ungarische Erbe aus dem Kontinentalteil des Landes. In der klassischen Musik wird diese Vielfalt besonders deutlich. Die kroatischen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts vereinen unterschiedliche musikalische Schulen miteinander: Man kann den Einfluss der großen italienischen und Wiener Traditionen ausmachen, hört aber auch Anklänge an die Moderne Musik und regionale Folklore. Da gibt es für das deutsche Publikum noch viel zu entdecken. Während ich hier auf dem Marjan stehe und auf den Horizont schaue, stelle ich mir vor, wie hinter den Silhouetten der vorgelagerten Inseln nur eine Bootsfahrt entfernt Italien beginnt. Ich bekomme Fernweh und freue mich auf meine Aufführung an der Deutschen Oper Berlin.

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