Von einem, der an der Welt verzweifelt - Deutsche Oper Berlin

Der dänische Bassbariton Johan Reuter interpretiert die Titelpartie in Alban Bergs „Wozzeck“

Von einem, der an der Welt verzweifelt

Dramaturg Jörg Königsdorf sprach mit dem charismatischen Bassbariton Johan Reuter, der die Titelpartie in der Neuproduktion unter musikalischer Leitung von Donald Runnicles und in der Regie von Ole Anders Tandberg interpretiert.

Die Uraufführung von WOZZECK im Berlin des Jahres 1925 war eine Sensation. Obwohl diese Oper in vielem völlig anders war als alles, was man bislang gesehen hatte, begriffen die meisten Menschen intuitiv, dass dem Komponisten Alban Berg hier ein Werk gelungen war, das ihre eigene Welt spiegelte – eine Welt, in der Krieg, Revolution und Verelendung ein universelles Gefühl von Zukunftsangst, Unsicherheit und Verzweiflung hinterlassen hatten.

Das Neue, Richtungweisende an „Wozzeck“ besteht ebenso in der Wahl der Geschichte wie in der Vertonung Bergs. Es war schon allein ein Wagnis, das erst 1913 uraufgeführte Dramenfragment Georg Büchners auf die Opernbühne zu bringen: eine Geschichte, in der ein Mensch die zentrale Rolle spielt, der ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie steht. Das einzige, was dem Titelhelden der Oper, Franz Wozzeck, zu Beginn der Oper noch Halt gibt, ist die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin Marie. Als auch diese Sicherheit dadurch bedroht wird, dass Marie ihn betrügt, bringt Wozzeck zuerst sie, dann sich selbst um. Zurück bleibt beider Kind.

 

Herr Reuter, Bergs „Wozzeck“ gilt als der Beginn der musikalischen Moderne auf der Opernbühne. Was ist an diesem Stück eigentlich so modern?
Ein zentraler Punkt ist die Vielschichtigkeit der musikalischen Aussage. In den Opern des 19. Jahrhunderts wird die Intensität des Ausdrucks oft dadurch erreicht, dass alle Energien gebündelt werden, um ein Gefühl möglichst stark zu transportieren. Bei „Wozzeck“ ist es anders: Die Musik spiegelt hier eine komplexe Welt, die sich nicht mehr begreifen lässt. Und diese Erkenntnis gilt heute noch genauso wie 1925, als die Oper uraufgeführt wurde.

Der Titelheld, Franz Wozzeck, versucht es aber trotzdem. Verzweifelt er am Ende gerade daran, dass er keine Erklärung findet?
Jedenfalls erleben wir in der Oper, dass Wozzecks Erklärungsversuche nicht taugen – weder die Verschwörungstheorien noch die Zitate aus der Bibel, mit denen er immer wieder die Welt zu erklären versucht – wobei wir oft gar nicht wissen, ob es sich dabei um bloße Naturerscheinungen handelt oder schon um Wahnbilder – wir verspüren da die gleiche Unsicherheit wie Wozzeck.

Ist dieser Wozzeck in Ihrer Interpretation der Figur schon von Anfang an wahnsinnig?
Ich glaube, es handelt sich bei ihm um einen sehr empfindsamen Menschen, der aber nie die Bildung genossen hat, die ihm eine geistige Entwicklung ermöglicht hätte. Denn der Impuls, sich die Welt erklären zu wollen, ist zunächst ja ein sehr positiver Antrieb. Nur im Falle Wozzecks richtet sich dieser Drang zunehmend gegen ihn selbst und führt dazu, dass er in eine Parallelwelt abdriftet. Deswegen kann er in entscheidenden Situationen auch gar nicht mehr reagieren. Beispielsweise, wenn er erlebt, dass seine Freundin Marie ihn betrügt, ist er unfähig, sie zur Rede zu stellen, sondern sucht wie besessen nach einem tieferen Sinn. Nur findet er den natürlich nicht – denn wer von uns könnte die Frage nach dem Sinn des Lebens beantworten?

Man kann sich Bergs Oper von vielen Seiten her nähern: Versuchen Sie, den Wahnsinn Wozzecks im Sinne eines realistischen Krankheitsbilds nachzuvollziehen oder gehen Sie von den expressionistischen Verfremdungen aus, mit denen Berg Wozzecks zunehmenden Realitätsverlust schildert?
Tatsächlich ist es eine starke Versuchung, die Figur Wozzecks möglichst realistisch zu spielen. Das wäre für mich aber nicht richtig. Schließlich ist es eine Oper, in der auf sehr kunstvolle Weise gesungen wird. Ich glaube auch, dass es Berg nicht vorrangig darum ging, ein Einzelschicksal auf die Bühne zu bringen, sondern um eine universellere Botschaft. Deshalb hat er der Oper auch ein sinfonisches Gerüst zugrunde gelegt, das eine Distanz zum Geschehen schafft.

Wenn man sich die Reihe der Sänger anschaut, die die Titelpartie in „Wozzeck“ interpretiert haben, fällt eine erstaunlich große Spannweite auf: Das geht von lyrischen Stimmen bis zu Bassbaritonen wie Ihnen.
Das liegt daran, dass Berg die psychologische Vielschichtigkeit der Partie durch eine sehr variable musikalische Gestaltung zeigt: Die Gesangslinie bleibt nicht in einem Register, sondern bewegt sich immer wieder zwischen hohen und tiefen Tönen, lyrischen und dramatischen Passagen. Ganz ähnlich übrigens wie die Schreibweise von Strauss für seine großen Baritonpartien in der „Frau ohne Schatten“ und „Arabella“. Und für den Fall, dass ein Sänger die tiefsten oder die höchsten Töne Wozzecks nicht in seiner Stimme haben sollte, gibt es von Berg Alternativlösungen in der Partitur.

Wozzeck ist nicht nur krank, sondern steht auf der sozialen Stufenleiter ganz unten. Um so einen Antihelden auf der Bühne darzustellen, muss man als Sänger schon einen starken Willen mitbringen, Opfer zu sein.
Ich muss zugeben, dass ich solche schlimmen Geschichten durchaus interessant finde. Das mag daran liegen, dass ich von Natur aus eher ein pessimistischer Mensch bin. Und wie Wozzeck suche ich immer nach Bedeutung im Leben. Und als Opernsänger lebe ich schließlich auch in einer Art Paralleluniversum, oder?

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