Das Interview führte Jana Petersen

„Mein hohes C ist nackt“ – Sara Jakubiak im Interview

Die Sopranistin Sara Jakubiak singt in DAS WUNDER DER HELIANE eine Szene unbekleidet. Muss das sein? Ein Gespräch über Selbstentblößung und Verletzlichkeit

Naxos
Foto:
 

Erich Wolfgang Korngold
„Das Wunder der Heliane“
Musikalische Leitung: Marc Albrecht
Inszenierung: Christof Loy
Mit Sara Jakubiak, Josef Wagner, Brian Jagde, Okka von der Damerau, Derek Welton, Burkhard Ulrich, Gideon Poppe, Andrew Dickinson, Dean Murphy, Thomas Florio, Clemens Bieber, Philipp Jekal, Stephen Bronk, Sandra Hamaoui, Meechot Marrero, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
von 18. bis 21. Februar 2020, jeweils 15.00 Uhr
als Video on Demand

Frau Jakubiak, Sie treten als Heliane nackt auf. Muss das sein?
In der Oper gibt es Nacktheit nicht so häufig, wie im Tanz oder im Sprechtheater. Aber gerade in diesem Stück ist der entblößte Körper gerechtfertigt, weil er in der Szene vorkommt. Der Fremde fragt Heliane: „Kann ich deinen Körper sehen, bitte?“

Hatten Sie Angst sich auszuziehen?
Nicht wirklich. Als Regisseur Christof Loy mich fragte, habe ich gesagt: „Mein hohes C – das ist nackt.“ Es gibt Momente, in denen ich mich stimmlich sehr entblöße, in denen ich mich ausliefere. Mein pianissimo, das ist nackt. Diese hohen und feinen Töne machen mich verletzlich, nicht so sehr mein Körper.

Singen ist Nacktheit?
Genau. Singen ist ein sehr persönlicher, sehr intimer Vorgang. Eine Violinistin etwa hat ihr Instrument. Mein Instrument bin ich selbst. Da ist nichts davor.

Aber Sie müssen doch Bedenken gehabt haben, sich nackt zu zeigen!
Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Meine Freunde und Kollegen in den Vereinigten Staaten, wo es viel konservativer zugeht, können nicht fassen, dass ich das wirklich tue. Die fragen: „Warum machst du das? Sogar die Unterwäsche! Das geht zu weit.“ Aber ich finde, Helianes Nacktheit macht die Szene sehr stark.

Was erzählt der nackte Körper?
Nachdem sie sich entblößt hat, sagt sie: „Ich werde für dich beten. Und für mich.“ Korngold bietet hier zwei Möglichkeiten: Die Zeile kann gesungen werden – oder gesprochen. Wir singen sie, aber sehr leise, so dass sie überhaupt nicht nach Oper klingt. Du konzentrierst dich an dieser Stelle auf den Text, nicht auf den Gesang. Und wenn ich da komplett nackt stehe, bekommen diese Worte ein großes Gewicht. Wenn ich an der Stelle meine Unterwäsche anhätte, wäre die Zeile nicht so auf den Punkt. Und wenn Heliane danach ihre Scham thematisiert, fällt sie tiefer, wenn sie wirklich nackt ist. Wäre sie im Badeanzug, hätte sie nicht diese Fallhöhe. Ich habe mich noch nie in einer Oper ausgezogen. Aber hier funktioniert es. Man kann auf der Bühne nicht einfach etwas tun, um es zu tun. Das wäre Blödsinn. Man braucht einen Impuls, um zu handeln. Wenn ich in der Magie dieser Szene bin, ergibt es für mich total Sinn. In diesem Stück geht es um Extreme. Sie lieben sich so extrem, Heliane erweckt den Fremden sogar von den Toten. Also muss man ins Extreme gehen, um diesem Stück gerecht zu werden.

Sara Jakubiak singt die Arie der Heliane „Ich ging zu ihm“ ... Hier im Video
 

Die Theaterwissenschaftlerin Ulrike Traub schreibt über Theater und nackte Körper: „Nacktheit auf der Bühne ist notwendig, um zu zeigen, wie unfrei der Körper und damit letztendlich der Mensch selbst ist.“
Das denke ich auch. Ich glaube, es geht bei Heliane genau darum: den Geist der Menschen zu befreien. Zu befreien, wie sie über Nacktheit denken und fühlen. Die eigene Unfreiheit ist leichter zu begreifen, wenn man eine so freie Figur wie Heliane sieht.

Nochmal zurück, wie haben Sie sich der Aufgabe genähert? Wie zum Beispiel waren die Proben?
Die erste Nacktprobe hat mich total überrascht. Das hatte für mich nichts Beschämendes. Im Gegenteil, das war eine fast schon poetische Erfahrung. Es fühlt sich nicht billig an, nicht übersexualisiert. Das Licht, die Musik, die Interaktion mit den Kollegen, die diese Szene gemeinsam erschaffen – das hat etwas Magisches.

Ja, sind Sie denn gar nicht eitel?
Sagen wir so: In der Probe hat es mich nicht gestört, vor allen nackt zu sein. Ich bin mit meinen Gedanken im Stück, in der Musik. Die Heliane bringt mich stimmlich an meine Grenzen. Ich denke nicht an ihre physische Nacktheit, sondern konzentriere mich auf eine sehr herausfordernde Musik, auf eine sehr herausfordernde Rolle. Die Nacktheit steht deswegen ziemlich weit unten auf meiner Liste. Außerdem ist mein Körper geschminkt. Er ist ja nicht perfekt, wie der eines Models. Wer weiß, vielleicht bin ich an dieser Stelle eitel? Meine Schrammen an meinen Beinen zum Beispiel, die haben wir abgedeckt.

Schönheit als Schutz?
Ja! Das Makeup wird zum Schutz. Jetzt verstehe ich auch, was Models mit diesem #nomakeup meinen, wenn sie sich auf Fotos ungeschminkt zeigen. Wie wichtig dieser kleine Schritt ist, den letzten Schutz abzulegen, bevor man richtig nackt ist.

Ist Nacktheit mehr Erotik oder mehr Unschuld?
In diesem Stück gehen das Emotionale und das Physische ineinander über, sie sind das gleiche. Korngold wollte, dass die beiden Liebenden ineinander verschmelzen.

Das klingt ja richtig transzendent. Was meinen Sie, würde Heliane Tantra-Seminare besuchen?
Transzendenz ist das richtige Wort! Wenn ich an Heliane denke, denke ich an genau daran. Wahrscheinlich wäre sie sogar die Tantra-Lehrerin! Sie sieht in Sexualität etwas Übernatürliches.

Was für eine Frau ist Heliane?
Ich kenne niemanden wie sie. Sie ist tatsächlich übernatürlich. Sie hilft uns, outside the box zu denken. Einen anderen Blick auf Gesellschaft zu werfen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Publikum sie verstehen wird, weil sie so über den Dingen steht. Damit meine ich nicht, dass sie besser ist. Sie steht über bestimmten Kategorien. Für mich spiegelt sie hauptsächlich die Liebe Korngolds zu seiner Frau.

Klingt nach einer tragischen Liebe.
Ihre Familien waren gegen diese Beziehung. Sie verlangten, dass Korngold und seine Frau ein Jahr getrennt leben mussten, bevor sie heiraten konnten. Da waren die beiden schon sechs oder sieben Jahre lang ein Paar, das war damals eine lange Zeit. Korngold hat in der Zeit dieser Trennung verstanden, dass man mit jemandem tief verbunden sein kann, ohne sich physisch nah zu sein. Ich glaube, die beiden spürten eine Hochspannung, auch wenn ihre Körper getrennt waren. Und ich glaube, Heliane erfährt genau das mit dem Fremden. In der finalen Szene, im Liebesduett, berühren wir uns nicht. Wir kreisen umeinander. Und da ist diese magische Spannung, diese Verbindung.

Würde Heliane heute in einer offenen Beziehung leben?
Glaube ich nicht. Sie liebt den Fremden so sehr. Und sie schläft ja nicht mit ihrem Mann. Ich glaube, sie wartet auf diesen „one in a million star“ und dann findet sie ihn. Ich würde sagen, dass sie einen besonderen Blick auf Beziehungen wirft.

Wäre Heliane ein Teil der #metoo-Bewegung?
Heliane ist ihre eigene Bewegung. Sie würde #metoo nicht verstehen. Sicher, wir müssen uns mit der Wut konfrontieren, die Ungerechtigkeit auslöst. Aber Heliane lehrt uns etwas anderes: Was es bedeutet, sich wirklich zu öffnen, sich hinzugeben, selbstlos zu sein – das ist ihre Nacktheit. Wenn man bedenkt, was in unserer Welt gerade vor sich geht, ist dieses Stück wirklich positiv. Ihre Bewegung wäre vielleicht so etwas wie „positive nakedness“.

Die Figur der Heliane hat fast keine Rezeptionsgeschichte. Was reizt Sie an diesem unbeschriebenen „nackten“ Blatt?
Ich liebe es. Ich kann darauf malen, was ich will. Niemand erwartet etwas. Heliane ist wie ein Spielplatz – und Korngolds Sound wie ein Schmuckkästchen, von dem du keine Ahnung hast, was drin ist. Du öffnest es und siehst Rubine und Smaragde. Und die gehören plötzlich dir. Ich muss die richtigen Noten und den richtigen Rhythmus singen, aber ich kann endlos interpretieren. Wie Exkursionen in ein unbekanntes Land.

Was haben Sie von Heliane gelernt?
Ich habe von ihr etwas über die Liebe gelernt. Diese Liebe, wie Heliane sie gefunden hat, wünsche ich mir für mein eigenes Leben. Ich hoffe, so ein Stern fällt auch auf mich hinunter. Sie berührt mich. Sie trifft mich wirklich sehr. Neulich sprach Christof Loy bei einer Probe von Helianes selbstloser Liebe, von ihrer Fähigkeit, sich vollkommen hinzugeben. Ich habe auf den Boden geschaut – weil ich Tränen in den Augen hatte. Es gibt kein anderes Stück, das mich derart berührt. Und das ist das Traurige an der Geschichte. Man denkt: „Oh, ich wünschte, ich hätte auch so eine Liebe in meinem Leben. Aber vielleicht werde ich sie nicht finden.“ Ich habe sie auf jeden Fall noch nicht gefunden.

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