Mein Seelenort ... Elia Rediger

Elia Rediger, Schweizer Komponist und Künstler, übernimmt die Reihe AUS DEM HINTERHALT. Hier erzählt er, wie das Arbeiten im Kongo ihn glücklich macht. Und voller Energie nach Europa entlässt

Elia Rediger ist ein Schweizer Sänger, Künstler Komponist und Regisseur. Bereits 2014 war er für die Produktion GILGAMESH MUST DIE! Gast in der Tischlerei. In der Spielzeit 2019/2020 kuratiert er hier fünf Abende AUS DEM HINTERHALT: MACHT DER KÜNSTE.

 

Aus dem Hinterhalt
Macht der Künste I:
Macht des Schicksals

Macht der Künste II:
Macht der Bilder

Macht der Künste III:
Macht des Rauschens

Macht der Künste IV:
Macht des Fluches

Macht der Künste V:
Macht des Bling Bling

Der Kongo ist für mich ein mystischer Ort. Kaum etwas lässt sich dort planen, ich arbeite nur mit dem, was gerade da ist. Die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo waren lange der Tyrannei und Willkür eines Diktators ausgeliefert, und es ist erstaunlich, was dies für Folgen hat. Sich die Zukunft vorzustellen ist in dieser Situation ein Akt der Selbstdekonstruktion – man kann sich auf nichts verlassen, nicht einmal auf den nächsten Tag. Für uns europäische Stabilitätsidioten ist das ein krasser Paradigmenwechsel. Und gleichzeitig hat dieses Im-Moment-Leben für mich etwas sehr Poetisches.

Ich fühle mich in der Arbeit dort zuhause, meine Freunde sind kongolesische Künstler. Gerade haben wir in Lubumbashi, einer Stadt im Süden des Landes, ein Oratorium von Händel bearbeitet: HERCULE DE LUBUMBASHI heißt unser Stück. Wir wollten dafür in einer Kobaltmine einen Film drehen, aber der Besitzer war skeptisch. Plötzlich klappte es doch: weil gerade Ostern gefeiert wurde, die Auferstehung Jesu – und ich mit meinen langen Haaren und dem Bart ein bisschen aussehe wie Jesus. Das hat der Besitzer als mystisches Zeichen gedeutet.

Es ist ja en vogue, Entwicklungshilfe in Frage zu stellen, aber bin ich dort, erlebe ich pure Entwicklungshilfe an mir selbst. Weil ich mich eingliedern muss in dieses andere Dasein mit einem völlig anderen Rhythmus. Wenn wir Zukunft nicht denken können, verbinden wir Europäer das traditionell mit der Angst vor dem Niedergang. Das ist hier ganz anders. Mich inspiriert es, die Gegenwart zu feiern, sich trotz Widrigkeiten nicht zu verkriechen und rumzuheulen.

Ich kehre jedes Mal aufgeladen in die Schweiz zurück. Der Kongo ist ein Gigant, er reicht flächenmäßig von Dänemark bis Portugal. Die Nächte in Lubumbashi sind pechschwarz, es ist feucht und heiß, ein Klima, in dem alles anfängt zu modern. Der Boden ist fruchtbar, und die vielen Mineralien wie Kobalt und Kupfer lassen den Sand glänzen und funkeln. Es riecht nach gut gewürztem Fleisch, nach Kloaken und offenen Wasserstellen. Überall hängt Mobilfunkwerbung, die meisten Kongolesen haben mindestens zwei Handys, denn es gibt viele unterschiedliche Netze. Es gibt unfassbar schöne Sonnenuntergänge, die Sonne fährt wie ein Scheinwerfer binnen Minuten nach unten und es ist schlagartig stockdunkel. Das Land schmeckt für mich nach Diesel, Orangenlimonade, Palmbier, und dem Maniokbrei Fufu, der mit scharfer Fleischsoße gegessen wird. Dieselmotoren und Choräle aus Chorproben schallen durch die Straßen.

Ich gehöre wohl zur Generation von Do-It-Yourself-Komponisten, die sich frei zwischen den Genres bewegen. Oper war ja lange Zeit ein sehr populäres Format, das passt gut zu meiner Herkunft, dem Pop. Nur ist der Oper genau das tragischerweise oft abhanden gekommen. Diesen Pop gilt es wiederzuentdecken, denn Oper hat eine Erotik, die mit dem Fremden, dem Unbekannten spielt. Kongolesische Musik inspiriert mich, etwa Wendo Kolosoy, ein Liedermacher und Sänger, der mit einer Art Jodeln arbeitet. Das gefällt mir als Bauernjunge aus der Schweiz natürlich gut. Der kongolesische Komponist Joseph Kiwele übertrug zu Beginn des 20. Jahrhunderts europäische Choräle auf kongolesische Musik. Seine Kreationen tragen die Tragik der Kolonialzeit in sich, der Konflikt zwischen Kolonialismus und eigener Identität ist bis heute im Land zu spüren.

Wie geht man damit um, wenn man 150 Jahre lang von etwas indoktriniert wurde, das nicht hergehört?

Ich bin als Sohn von Entwicklungshelfern im Kongo aufgewachsen. In meiner Kindheit habe ich starke Kontraste erlebt: An Ostern etwa haben wir zu Hause die Matthäuspassion gehört, danach sind wir auf ein kongolesisches Dorffest gegangen, wo Jesu Verurteilung mit Trommeln untermalt wurde. Insofern ist mir die Reihe AUS DEM HINTERHALT sehr nah: Sie ist ein Mash-up-Format, stellt den Produktionen der großen Bühne im kleineren, experimentellen Rahmen der Tischlerei etwas entgegen. Ich habe dieser Reihe eine neue Unterzeile hinzugefügt: »Die Macht der Künste«. Wo spielt die Macht in der Kunst? Und wie gehen wir als Künstler mit diesem Thema um? Eine neue Generation kongolesischer Künstler will sich aus den postkolonialen Grabenkämpfen befreien.

Sie wollen ihr eigenes Ding machen, ihre eigene Kultur erschaffen. Klassische Musik etwa saugen sie auf. Das ist vielleicht das Schönste an uns Menschen, dass immer eine neue Generation kommt, die Hoffnung bringt – und die alten Geister verschwinden.

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