Aus dem Programmheft

Musik für keinen Film

Zu Schönbergs „Begleitungsmusik“ … Ein Essay von Sebastian Hanusa

Dirigent: Donald Runnicles
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier 
Mit Elena Tsallagova, Emily Magee; David Butt Philip, Mick Morris Mehnert, Philipp Jekal; Adelle Eslinger-Runnicles; Evgeny Nikiforov u. a.
Chor & Orchester der Deutschen Oper Berlin
1 DVD, auch als Blu-ray Disc erhältlich
Live-Aufnahme aus der Deutschen Oper Berlin vom 27. und 30. März 2019
<i>Nominiert für den GRAMMY AWARD 2021</i>
Alexander von Zemlinsky: DER ZWERG
Foto:
 

Der Zwerg
Oper in einem Akt von Alexander von Zemlinsky
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Tobias Kratzer
Mit Elena Tsallagova, Emily Magee, David Butt Philip, Mick Morris Mehnert, Philipp Jekal u. a.
Premiere war am 24. März 2019

Als Arnold Schönberg 1929/30 sein Orchesterstück „Begleitungsmusik zu einer Lichtspielscene“ op. 34 schrieb, war er Berliner. Zwischen 1901 und 1903 hatte er bereits in der Stadt gelebt, als er eine Spielzeit lang Kapellmeister an Ernst von Wolzogens Kabarettbühne „Überbrettl“ war und für eine kurze Zeit am Sternschen Konservatorium unterrichtet hatte. Eine zweite Berliner Zeit folgte zwischen 1911 und 1915. Schließlich wurde er 1926 als Nachfolger von Ferruccio Busoni als Leiter einer Meisterklasse für Komposition an die Preußische Akademie der Künste berufen, wo er bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 unterrichtete. In jenen Jahren zog er mehrmals um, in der Zeit, in der die „Begleitungsmusik“ entstand, wohnte er in einer elegant-modernen Villa in der Nussbaumallee 17 in Neu-Westend. In nahezu den gleichen Zeitraum fällt Alexander von Zemlinskys Berliner Zeit. Er hatte 1927 sein langjähriges, erfolgreiches Engagement als Musikdirektor des Neuen Deutschen Theaters in Prag nach dem Rücktritt seines Intendanten Leopold Kramer gekündigt und war seit der Spielzeit 1927/1928 Kapellmeister an der Berliner Krolloper. Dort arbeitete er bis zu deren Schließung 1931, Berlin verließ er wie Schönberg nach der Machtergreifung 1933, um nach Wien zurückzukehren. Auch Zemlinsky zog mehrfach in Berlin um und lernte dabei gleich mehrere [West-]Berliner Stadtbezirke kennen. Er wohnte unter der Adresse In den Zelten 17 in Tiergarten, dort wo heute das Haus der Kulturen der Welt steht, in der Tile-Wardenberg-Str. 29 in Moabit, in der Pariser Str. 19 in Wilmersdorf und schließlich in Schöneberg in der Landshuter Str. 26.

Auch in der gemeinsamen Berliner Zeit standen Zemlinsky und Schönberg in Kontakt, jedoch hatte sich ihr einstmals überaus enges persönliches Verhältnis deutlich abgekühlt. Zemlinsky war künstlerisch den Weg seines ehemaligen Kompositionsschülers in die Atonalität und hin zur Entwicklung der Zwölftontechnik Anfang der 20er Jahre nicht mitgegangen. Und nachdem Schönberg 1901 Mathilde, die jüngere Schwester Zemlinskys, geheiratet hatte, war die Ehe zunehmend unglücklich verlaufen. Mathilde hatte 1908 eine Affäre mit dem Maler Richard Gerstl gehabt, der kurz darauf Selbstmord beging. Dieser Bruch innerhalb der Beziehung war nie mehr verheilt, bis hin zu Mathildes frühem Tod 1923. Und noch nicht mal ein Jahr später, am 28. August 1924, hatte Schönberg die 24 Jahre jüngere Gertrud Kolisch geheiratet. Ein verbindendes Element zwischen den beiden Komponisten war jedoch die Krolloper. Hier wirkte Zemlinsky unter deren musikalischem Leiter Otto Klemperer – der 1922 in Köln auch die Uraufführung seiner Oper DER ZWERG dirigiert hatte – an dem utopischen Projekt eines aus republikanischem Geist geborenen, neuen Musiktheaters mit. Und in einem Sinfoniekonzert der Krolloper fand unter dem Dirigat Klemperers auch die erste öffentliche Aufführung der „Begleitungsmusik zu einer Lichtspielscene“ am 6. November 1930 statt. Lange galt dieses Konzert auch als Uraufführung des Stückes, wohl auch für den Komponisten. Zuvor war das Werk jedoch bereits einmal gespielt worden, in einer Rundfunkaufnahme des Frankfurter Rundfunkorchesters unter der Leitung von Hans Rosbaud am 28. April 1930. Und es folgten weitere Aufführungen des Stückes, deren Erfolg den Komponisten, der über Jahrzehnte mit Ablehnung und Anfeindungen durch das Publikum gekämpft hatte, offensichtlich überraschte. So schrieb er an seinen Schüler Heinrich Jalowetz, der das Stück 1931 in einem Konzert dirigiert hatte, mit einer gewissen Verwunderung: „Was du mir über die Aufführung gesagt hast freut mich sehr … Das Stück scheint ja zu gefallen: soll ich daraus Schlüsse auf seine Qualität ziehen? Ich meine: Offensichtlich mag es das Publikum!“

Was ich Ihnen öfters bei Gedichten riet: Vor allem eine klare Disposition desselben zu machen, das heißt einteilen – wie weit kommt man mit dem einen Motiv, wie weit mit dem zweiten usw. aus. Dann: den Grundgedanken herausfinden! Es nützt nichts, wenn Sie Zeile für Zeile noch so scharf charakterisieren. Wohin kommt man da bei einer Oper! Hat man eine Szene disponiert, muss man sich klar werden, welche Grundmotive dieselbe beherrschen – die müssen zuerst erfunden werden. …
 

Entstanden war die „Begleitungsmusik“ als Auftrag des auf Stummfilmmusik spezialisierten Verlages Heinrichshofen, der nun, nachdem der kommerzielle Durchbruch des Tonfilms 1927 nach der Premiere des Films „The Jazz Singer“ begonnen hatte, auch dieses Genre bedienen wollte. Schönbergs Orchesterwerk entstand jedoch nicht als Musik zu einem bestimmten Film. Und es ließ sich auch nicht für einen solchen verwenden, da Schönberg sich, wie auch später in seiner Zeit im Exil in Hollywood, nicht bestimmten Vorgaben etwa eines Regisseurs oder Produzenten hinsichtlich Personenkonstellation oder konkreten Situationen unterwerfen wollte, sondern ein formal in sich geschlossenes, knapp zehnminütiges Orchesterwerk komponierte. Mit den drei Schlagworten „Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe“ hat er jedoch so etwas wie ein Programm für das Stück verfasst, dies öffnet aber wiederum mehr Asssoziationsräume für den Hörer, als dass es sich einzelnen Teilen des Stückes eindeutig zuordnen ließe.

… Dann wo wirklich die Stimmung – d. h. Tonart, Tempo, Rhythmus, Melodie – geändert wird. Man irrt sich, d. h. scheinbar wechselt immer die Stimmung bei Rede und Gegenrede schon! Aber der Musiker hat die Aufgabe, diesem Dialog auf den tiefsten Grund zu gehen, diese eine Stimmung, von der aus die ganze Szene vom Dichter gedacht, herauszufischen, und diese kann dann, unbeschadet durch Rede und Gegenrede, mit nur kleinen Modifikationen, die ganze Szene beherrschen. Verstanden?
Brief Alexander von Zemlinskys an Alma Schindler, 13. Juni 1901

Begonnen hat Schönberg mit der Komposition, so kann man es der Datierung seiner Skizzen entnehmen, am 15. Oktober 1929. Beendet hat er die Partiturreinschrift am 14. Februar 1930. Mit der „Begleitungsmusik für eine Lichtspielscene“ op. 34 hat er nach den Variationen für Orchester op. 31 sein zweites Orchesterwerk in der von ihm entwickelten Zwölftontechnik geschrieben. Dieses ist für eine eher kleinere sinfonische Orchesterbesetzung komponiert, verlangt aber neben einem relativ umfangreichen Schlagzeug-Apparat auch ein Klavier, dem ein vergleichsweise exponierter Part zugedacht ist. Als motivisch-thematisches wie harmonisches Material liegt dem Stück eine Zwölftonreihe zu Grunde, die jedoch nicht direkt zu Beginn des Stückes in vollständiger Form vorgestellt wird. Stattdessen beginnt das Stück mit einer achttaktigen Einleitung, in der die anfängliche Grundstimmung „Drohende Gefahr“ mit kurzen Bläsergesten über einer ausgehaltenen kleinen Terz Es-Ges in Bratschen und Celli, die sich von einem Tremolo zu rhythmisch differenzierten Wechselnoten hin entwickelt, erzeugt wird. Das Tonmaterial dieser Einleitung ist aber bereits komplett aus der Reihe abgeleitet, die im Anschluss in ihrer Grundgestalt in der Oboe erklingt. So sind das Es und das Ges des Streichertremolos deren erste zwei Töne, die Töne drei bis sechs erklingen dazu parallel im Fagott als kurzes, elegisches Melodiefragment und in den Kontrabässen als Pizzicato, das diesem gegenübergestellt wird. Der sich anschließende Blechbläsereinwurf besteht aus den sechs weiteren Tönen der Reihe. Nachdem dieser Exposition der Reihe ist der weitere Verlauf der ersten circa zwei Minuten des Stückes vom Gegensatz zwischen einem aus der Reihe abgeleiteten, weit ausschwingendem Zwölfton-Melos und hektischen Begleitfiguren geprägt. Die Musik steigert sich in mehreren, von großen, expressiv ausgreifenden Ritardandi gegliederten Wellen hin zu einem ersten Höhepunkt.

Es folgt ein Abschnitt in deutlich schnellerem Tempo, der durch die Wiederholung komplexer rhythmischer Zellen geprägt ist und aus dem heraus sich so etwas wie ein „verzerrter“, grotesker Tanz entwickelt. Auch dieser Abschnitt steigert sich in einer finalen Verdichtung hin zu einem Höhepunkt, dem sich mehrere kürzere Episoden anschließen, in denen Schönberg musikalische Topoi von Bedrohung, Angst und Panik in scharfen Kontrasten nebeneinanderstellt. Dabei verarbeitet er das Material seiner Grundreihe und deren drei Varianten Umkehrung, Krebs und Krebsumkehrung mit einer satztechnischen Virtuosität von enormer Differenziertheit. Die Reihe wird über mehrere Oktaven hinweg ausgreifend zu expressiven Klanggesten gespreizt, ihre einzelnen Abschnitte werden blockartig in Blechbläserakkorden geschichtet, sie wird in hektischen Achtel- und Sechzehntel-Figurationen zersplittert und mehrere Reihendurchgänge überlagern sich innerhalb des polyfonen Satzes. Gegen Ende dieses Abschnitts wird nochmals der Gestus der Oboenmelodie des Anfangs wieder aufgegriffen, wenn mit einer Variante der Grundreihe diese als kantable Melodie in den hohen Holzbläsern erklingt.

Dem sich anschließenden Abschnitt lässt sich sodann relativ leicht programmatisch die „Katastrophe“ zuordnen, greift Schönberg hier mit einem sich verdichtendem Orchestersatz, dem extremen Gegensatz von Fortissimo und Pianissimo, massigen Blechbläserakkorden und finalen Tuttischlägen auf letztlich bekannte Klanggesten zurück. Die Tuttischläge markieren indes nicht das Ende des Stückes. Vielmehr schließt sich ein langsamer Adagio-Teil an, ein Nach- und Verklingen der Katastrophe, ein auskomponiertes Ausschwingen des Orchesterklangs. Aus den Tuttischlägen bleibt, wie ausgeschnitten, ein tiefer Blechbläserakkord stehen. Dieser ist wiederum aus den ersten, übereinander geschichteten Tönen der Grundreihe gebildet. In einer langsamen, quasi schreitenden Pulsation wird er immer leiser und leitet damit in den Schlussabschnitt über. Wiederum erklingt eine Zwölftonmelodie, in der das Material der Grundreihe als motivisch-thematisches Material verwendet wird. Diese Melodie wandert durch die tiefen Register des Orchesters, von den tiefen Streicher über das Fagott hin zur mit Dämpfer im tiefen Register gespielten Trompete – sowie schließlich in das tiefe Klarinettenregister, wo sie von der mit Flatterzunge gespielten Flöte mit fragilen Pianissimo-Klängen begleitet wird. Das Stück verklingt so, wie es begonnen hat, mit einem Tremolo in Bratschen und Celli auf der kleinen Terz Es-Ges.

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