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Alles geht, in Mahagonny - Deutsche Oper Berlin

Alles geht, in Mahagonny

Dieses Projekt sprengt alle Dimensionen. In unserem AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY von Kurt Weill und Bertolt Brecht wird das gesamte Opernhaus zur Bühne. Und wir alle zu Bürger*innen

Die Deutsche Oper Berlin wird nicht wesentlich verwandelt, aber trotzdem kaum wiederzuerkennen sein. Die Besucherinnen und Besucher betreten ein Haus in seltsamem Dämmerschlaf. In den Foyers lungern Menschen, die noch verkatert von der letzten Party sind und auf den Beginn der nächsten bereits warten. Im großen Saal sind die Sitzreihen weitgehend abgehängt, Platzkarten gibt es nicht, auf der Bühne steht ein Schild, das verkündet: »Außer Betrieb«. Wer dennoch einen der vorhandenen Plätze im Parkett einnehmen will, wird vielleicht gebeten, gleich wieder aufzustehen und zu tanzen oder sich einen Sekt an einer der Bars im Foyer zu kaufen, denn die sind geöffnet. Die Frage ist nur: Hat die Aufführung eigentlich schon begonnen? Und falls ja: Wo genau findet sie statt?

Benedikt von Peters Inszenierung des Dreiakters AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY von Kurt Weill und Bertolt Brecht löst die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum vollständig auf – und sprengt damit auch die Grenzen des gewohnten Betriebes. Die Brechtschen Stadtgründer Leokadja Begbick, Prokurist Fatty und Dreieinigkeitsmoses werden sich etwa über weite Strecken durchs untere Foyer bewegen – und mit ihnen die Zuschauer –, während das Orchester auf der Bühne spielt.

Jim Mahoney und seine Freunde aus Alaska – live gefilmt und auf Monitore im Foyer übertragen – treffen mit dem Auto an der Bismarckstraße ein, überhaupt folgen permanent zwei Kamerateams dem Geschehen. »Die Drehorte legen wir momentan fest«, erzählt Katrin Wittig, die Bühnenbildnerin der Produktion. Erforderlich ist dafür ein handgestopptes Timing wie beim Film, die jeweiligen Positionen müssen genau auf die Partitur abgestimmt werden. Was allerdings noch die kleinste Herausforderung bedeutet, wenn ein gesamtes Haus sich in die Stadt Mahagonny verwandeln soll. Zwar haben Benedikt von Peter und Katrin Wittig die Oper bereits 2012 mit ähnlichem Konzept am Theater Bremen zur Aufführung gebracht. Aber in Berlin bekommen sie es, gerade hinsichtlich der Größe des Hauses, mit gänzlich anderen Dimensionen zu tun: »Im Vergleich zu den Raumverhältnissen hier ist Bremen eine Puppenstube«, so Wittig.

Vor allem in Bezug auf die Akustik macht das die Unternehmung komplex. Schließlich sollen die Zuschauer an jedem Ort das gleiche Klangerlebnis haben. Einfach die Türen zum Saal offen zu lassen und das Orchesterspiel ins Foyer wehen zu lassen, kommt dabei nicht infrage. »Alle Beteiligten sind so weit voneinander entfernt, dass akustisch kleine Zeitreisen passieren«, erklärt Christoph Hill, der Technische Direktor der Deutschen Oper Berlin. Entsprechend müsse das Foyer mit einer Vielzahl von Lautsprechern ausgerüstet werden. Die Sängerinnen und Sänger werden mit Mikroports ausgestattet und auf ihren Wegen durchs Haus von Runnern begleitet, die schnell umkoppeln können, falls eines der störanfälligen Geräte ausfällt. Dazu braucht es im Foyer, im Saal und auf der Bühne vier Mischpultplätze, um überall, wo sich Darstellende und Publikum aufhalten, ein ähnliches Klangbild zu erzeugen. Aktuell wird die Verlegung neuer Datenleitungen ins Foyer geplant. Die Arbeiten müssen bereits in dieser Sommerpause erledigt werden, da sie während der Saison den Spielbetrieb behindern würden. Die Übertragung von Video, Ton und Dirigentenmonitoring nur per Funk sei nicht möglich, erklärt Hill, »die dicken Wände würden die Signale gar nicht durchlassen«. Die Logistik hinter dieser Inszenierung bedeutet auch für den langjährig erfahrenen Theatermann »ganz klar eine neue Dimension«.

Von der »Maschine Mahagonny« spricht die Bühnenbildnerin Katrin Wittig, während sie vor einem Modell des Vorderhauses der Deutschen Oper Berlin das Konzept erläutert. Eine Maschine sei das, die durch die eintreffenden Menschen in Gang gesetzt werde, aber einen stotternden Motor besitze. Auch das Bild einer »Spieluhr, die immer wieder auseinanderfällt und zusammengeklebt werden muss«, wählt Wittig – als Metapher für ein dysfunktionales kapitalistisches System, das Brecht und Weill in ihrer Oper als blinkende Stadt in der Wüste oder auch »Netzestadt« Gestalt annehmen lassen. Bei Benedikt von Peter und Katrin Wittig werden die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Teil dieses Systems. Der distanzierte Blick auf ein sündiges Las Vegas, wie es Brecht und Weill damals als Vorbild im Sinn hatten, bleibt ihnen hier verwehrt. Mit solchen plakativen oder illustrativen Bildern arbeitet Wittig aber ohnehin nie. In ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Benedikt von Peter hat sie eine Vorliebe für die radikale Reduktion entwickelt. »Ich arbeite gerne mit der großen Leere und der Frage, die auf einen selbst zurückfällt: Was ist hier eigentlich was?«, beschreibt die Künstlerin ihren Raumansatz.

Aber auch Leere kann natürlich Aufwand bedeuten. Bereits seit zwei Jahren laufen die Vorbereitungen für AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY an der Deutschen Oper Berlin. »So früh und so intensiv war ich noch nie in eine Produktion involviert«, sagt Christoph Hill. Den Vorlauf braucht es jedoch. Schließlich wurden allein für die Frage, ob und wie das Publikum auf der Bühne Platz nehmen darf, neun verschiedene Varianten bezüglich der Fluchtwege durchgespielt und mit der Bauaufsicht sowie der Feuerwehr vorbesprochen. Auch die Frage, ob das komplette Orchester auf einem elektrischen Drehscheibenwagen über einen Messeteppich gezogen werden kann, ist nicht auf die Schnelle zu klären und muss simuliert werden. Mit 40 Musikerinnen und Musikern und dem Gewicht des Drehscheibenwagens »fährt im Grunde ein LKW mit voller Last über die Bühne«, erläutert Hill. Und was passiert, falls während der Fahrt eine Bodenwelle die Notenständer wackeln lassen sollte? In genau diesen Herausforderungen liegt für alle Beteiligten aber auch der Reiz des Projekts MAHAGONNY. Zumal Wittig betont, dass schon Komponist Weill nicht auf Perfektion und Gelingen in allen Fragen zielte, sondern im Gegenteil – etwa mit einem im Klang ersaufenden Hammerklavier – das Brüchige und Schräge der eigenen Oper bereits einschrieb. Sollte es also zu kleineren Reibungen kommen, wäre das in den Augen von Katrin Wittig »nicht nur charmant, sondern absolut werktreu«.

 

Patrick Wildermann arbeitet als freier Kulturjournalist in Berlin unter anderem für den Tagesspiegel, GALORE Magazin und das Goethe-Institut.