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Wie erfindet man eine Oper? - Deutsche Oper Berlin

Wie erfindet man eine Oper?

Die Komponistin Rebecca Saunders schreibt zum ersten Mal Musiktheater. Das Schöne: Sie ist dabei nicht allein. Ein Hausbesuch in Prenzlauer Berg

Am Ende unseres Gesprächs beugt sich Rebecca Saunders über den Flügel und die Partitur. Die Noten stehen mit Bleistift da, ihre erste Oper ist noch nicht fertig. »Schauen Sie, hier rezitiert die Schauspielerin sehr präzise, aber dann singt sie wieder. Ich habe sie in den Bassschlüssel gesetzt, weil sie eine so tiefe Stimme hat«. Saunders spricht von der Schauspielerin Katja Kolm, die den ersten Auftritt haben wird. Und Saunders erzählt ständig auch von den drei Sängerinnen, als seien sie Solo-Instrumente: vom Alt von Noa Frenkel, vom Koloratursopran von Anna Prohaska, vom Sopran von Sarah Maria Sun. Sie komponiert mit den besonderen Stärken der einzelnen Mitwirkenden im Kopf. »Die Musik soll wie eine Haut sein für die Sängerinnen.«

Die Haut und der Körper sind vertraute Metaphern für die mit dem Ernst von Siemens-Musikpreis, dem »Nobelpreis der Neuen Musik«, ausgezeichnete britische Komponistin. Konzertante Stücke von ihr hießen zum Beispiel »Skin« (Haut) oder »Scar, Bite, Flesh« (Wunde, Biss, Fleisch). Der Körper und vor allem seine Grenzen stechen ins Auge. In LASH — ACTS OF LOVE spielt die Spannung auf der Haut eine große Rolle, zwischen Innenwelt und Außenwelt. »Es geht um die Sehnsucht, Erfahrungen zu machen, die die existenzielle Einsamkeit überwinden. Das sind auch sexuelle Erfahrungen.«

Es beginnt mit dem Tod oder einer Nahtoderfahrung. Die ganze Oper ist eine Art Rückblende der vier Frauen – verkörpert von der Schauspielerin und den drei Sängerinnen. Sie stellen Fragen an das Leben davor. »Fragen, die nicht gefragt wurden.« Immer wieder blitzt die Sehnsucht auf, aus der Haut fahren zu können, Erfahrungen zu machen, die verbinden, metaphysische Erfahrungen. Auch Sex wird so zum Stellvertreter für religiöse oder vielleicht bloß gemeinschaftliche Erfahrungen – um den eigenen Körper zu verlassen. Saunders nippt am Tee und nickt.

Der Gedanke der Gemeinschaft hat auch die Arbeit selbst erfasst. So sinnlich Saunders’ Musik und auch das Thema des Werkes sind, so zeitgenössisch wirkt der für die Oper ungewöhnliche Weg. Im Theater würde man von einem Projekt sprechen, wenn verschiedene künstlerische Positionen sich in einem langen Prozess gemeinsam einbringen. Aber können hier wirklich alle mitreden, in der hoch arbeitsteiligen Kunstform der Oper?

Das Libretto stammt vom britischen Videokünstler, Performer und Schriftsteller Ed Atkins, mit dem Saunders bereits einmal zusammengearbeitet hat. »Die extrem expressive Sprache von Ed tropft geradezu vor Sinnlichkeit, obwohl für uns beide Samuel Beckett wichtig ist, der eine extrem reduzierte und zugleich zerbrechliche Sprache pflegte«, sagt Saunders. Tatsächlich lässt sich bei der Form der Rückschau an Becketts »Das letzte Band« denken. »Ja, wir sprachen darüber, das stimmt.« Doch selbst das Libretto verändert sich bei LASH im Entstehungsprozess, wenn Saunders mit dem britisch-irischen Regieduo Dead Centre über Bühnensituationen nachdenkt. Dead Centre sind Bush Moukarzel und Benn Kidd, die in der Deutschen Oper Berlin bereits ein zeitgenössisches Werk inszeniert haben, Giorgio Battistellis IL TEOREMA DI PASOLINI.

»Komponieren ist eine einsame Arbeit«, sagt Saunders. »Umso schöner ist es, im Prozess dann doch ganz konkret mit Musikern und Kolleginnen in Kontakt zu kommen, auf die Suche zu gehen. Leider können die beiden von Dead Centre aber nicht komponieren, das muss ich schon selbst machen!«, fügt sie lachend hinzu.

Die Dinge verschränken, sie in den Dialog bringen: Das hört man auch der Musik selbst an. »Lange habe ich mir nicht zugetraut, für menschliche Stimmen zu schreiben. Aber ich habe gemerkt, dass Instrumente für mich auch Solo-Stimmen sind«. Und umgekehrt! Jetzt redet Saunders wieder mit Begeisterung über die Qualitäten der Sängerinnen, die sie so stark inspirieren beim Schreiben. »Anna Prohaska zum Beispiel singt wunderschön frühe Musik, also habe ich mich mit Verzierungen der melodischen Linien auseinandergesetzt, und das hört man nun in ihren Arien im ersten Akt.« Haben die Sängerinnen einzelne Motive, die Saunders ihnen ebenso auf den Leib schreibt? »Ja, aber die einzelnen Charaktere werden auch musikalisch ineinander verwoben.« Es ist fast, als würden die vier Frauen am Ende doch zu einer einzigen Person verschmelzen.

Der erste Akt ist mit »Love« überschrieben, der zweite mit »Mute«, stumm. Doch genau da geht das Orchester seinem Höhepunkt entgegen. Im dritten Akt, der »Loss«, also Verlust heißt, erlebt auch der Klangkörper seine Entgrenzung. »Ich verteile die Musik im ganzen Saal. Die Solisten kommen aus dem Graben und spielen auf der Bühne mit den Sängerinnen im Duett. Noch überlege ich, ob die Schauspielerin vier Basstrommeln an die Seite bekommt.«

Im zweiten Rang, hoch oben im Saal, hängen zwei Lautsprecher. Denn es gibt auch Elektronik in LASH, allerdings nicht im Studio vorproduzierte. Auch da interessieren Saunders die Instrumente zu sehr, die live gespielt werden: »Wir haben zwei analoge Synthesizer, alte Orgeln von Korg: Wir schrauben noch an den Klängen. Ich habe so ein Instrument hier zu Hause stehen, im Nebenraum.«

Sie beugt sich noch einmal über die Partitur. Wenn der Tod so präsent ist in LASH, hat er auch einen Klang? »Das können wir die Toten schlecht fragen. Von der Liebe, auch vom Sex, wissen wir etwas mehr: Da kann der Klang auch Stille sein, die Stille im Auge des Sturms.«

 

Tobi Müller ist freier Kulturjournalist und Autor. Er schreibt und spricht über Pop, Darstellende Künste und digitale Themen u.a. für DIE ZEIT und DLF Kultur und leitet Gesprächsrunden