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Arabella als Reise in Vergangenheit und Zukunft - Deutsche Oper Berlin

Aus dem Programmheft

Arabella als Reise in Vergangenheit und Zukunft

Ein Essay von Bettina Bartz

Richard Strauss hatte jahrelang immer wieder versucht, von dem Dichter Hugo von Hofmannsthal ein Libretto mit Humor zu bekommen. 

Am 25. Mai 1916 schrieb er an Hofmannsthal: 
„Bezüglich einer neuen Oper schweben mir folgende zwei Sachen vor: ent­weder eine ganz moderne, absolut realistische Charakter- und Nerven­komödie… oder so ein hübsches Liebes- und Intrigenstück.“

Hofmannsthal lehnte das Ansinnen zunächst ab und antwortete am 30. Mai: 
„Ich habe herzlich lachen müssen über Ihren Brief. Das sind ja für mein Gefühl wahrhaft scheußliche Dinge, die Sie mir da proponieren, und könnten einen für lebenslang abschrecken, Librettist zu werden, das heißt nicht irgendeinen, sondern gerade mich. Aber wissen Sie, wir wollen uns darüber nicht den Kopf zerbrechen, das, was Ihnen vorschwebt, werde ich – mit bestem Willen nie machen können.“ 

Aber Strauss beharrte auf seinem Wunsch. Am 5. Juni konterte er: 
„Lachen Sie nur: ich weiß doch zu genau, was ich will.“ Er zeigte sich über­zeugt, „dass ich ein großes Talent zur Operette habe – und da meine tragische Seite ziemlich ausgepumpt ist und mir nach diesem Kriege Tragik auf dem Theater vorläufig ziemlich blöde und kindlich vorkommt, und dieses un­­bezwingliche Talent (ich bin doch schließlich jetzt der einzige Komponist, der wirklich Humor und Witz und ein ausgesprochen parodistisches Talent hat) betätigen möchte.“

Man muss Strauss Recht geben, dass ihm das Parodieren im Blut lag, seine Musik besteht hauptsächlich aus Zitaten, Nachahmungen, Persiflagen und Travestien fremder und eigener Werke, worin er sich aber irrt, ist der humoristische Aspekt. Kein Zuschauer bricht während der Vorstellung in Lachen aus, wenn im ersten Akt von ARABELLA bei dem Stichwort „Rosen“ im Orchester der ROSENKAVALIER zitiert wird, oder wenn im dritten Akt das letzte Gespräch zwischen Arabella und Mandryka mit einer Melodie eingeleitet wird, die stark an Beethovens „Das Lebewohl“ genannten ersten Satz der Klaviersonate Nr. 26 in Es-Dur op. 81a erinnert. Das sind eher kleine Insiderscherze. Seinen internationalen Erfolg verdankt Strauss anderen Qualitäten. Dem älteren Strauss muss das gedämmert haben, denn nach der ARABELLA-Komposition, am 22. Januar 1934, schrieb er an Stefan Zweig: 
„Am besten liegen mir süddeutschem Bourgeois ‚Gemütskisten‘: aber solche Treffer wie das Arabelladuett und das Rosenkavalierterzett gelingen nicht immer. Muss man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die meiste Begabung hat?“

Der jüngere Strauss hingegen fühlte sich noch „geradezu berufen zum Offenbach des 20. Jahrhunderts“ und verlangte von Hofmannsthal:
„ …Sie werden und müssen mein Dichter sein. Offenbachs HELENA und ORPHEUS haben die Lächerlichkeiten der ‚grand opéra‘ ad absurdum geführt. Das, was ich mit meinen aus der Luft gegriffenen Anrempelungen, die Sie so sehr übelnehmen, meine, wäre eine politisch-satirische Parodie schärfsten Stiles. Warum sollen Sie das nicht können? Sie schreiben überhaupt zu wenig; Spannen Sie doch ihren Pegasus mal feste an. Das Luder wird dann schon laufen. Vom ROSENKAVALIER weg geht unser Weg; sein Erfolg beweist es, und ich habe für diese Art (Sentimentaliät und Parodie sind die Empfindungen, auf die mein Talent am stärksten und fruchtbarsten reagiert) nun mal die meiste Schneid.“

Im Brief vom 28. Juli 1916 hakt Strauss noch einmal nach:
„Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß das Vorspiel zu ARIADNE der neue eigene Weg ist, der gegangen werden muß, und meine eigene Neigung geht nach einem realis­tischen Lustspiel mit wirklich interessanten Menschen, sei es mehr lyri­schen Inhaltes … sei es burlesken, parodistischen Inhaltes nach der Seite der Offenbachschen Parodie zu“.

 

Verbindung von Boulevardstück und Musik

 

Auch im Brief vom 8. September 1923 glaubt Strauss, „in diesem Stimmungsgebiet noch nicht mein letztes gesagt“ zu haben, doch musste er noch Jahre auf ein geeignetes Libretto warten. Endlich verheißt Hofmannsthal am 13. November 1927 ein Szenarium, „das an Lustigkeit dem der FLEDERMAUS nichts nachgibt“, gefunden zu haben zu einer „dreiaktigen Spieloper, ja fast Operette“. Er verrät, dass er dafür Ideen aus einem geplanten Konversationsstück nach der Posse Der Fiaker als Marquis von Adolf Bäuerle und einem „anderen unaufgeführten Lustspiel verbinden“ möchte. Mit letzterem meinte er seine schon 1910 erschienene Erzählung Lucidor, die ja schon den Untertitel Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie trug. 

Die weiteren Briefe zeigen, wie viele Gedanken sich Hofmannsthal über die Ver­bindung von Boulevardstück und Musik machte. Am 22. Dezember 1927 ließ er sich lange über die Verwendung kroatischer Volksweisen für die Figur des Man­dry­ka aus und über die Tanzmusik auf dem Fiakerball des zweiten Aktes:
„Auf einem Ball bei Hof könnte man sehr gut einen Czardas oder Kolo oder eine Mazurka motivieren, aber am Fiakerball um Gottes willen nicht, das wäre Faust aufs Auge… Die Lustspielhandlung, die sehr gedrängt und lebendig ist, geht vorne vor sich, hinten steigt man mitunter in den Ballsaal, und ich habe mir den Ball eher unsichtbar gedacht, nur daß freilich die Figuren hier und da sich in den Ball mischen und davon wieder zurückkommen... Tatsächlich getanzt hätte man um 1860 Walzer, vor allem Walzer, dann Schnellpolka und am Schluß einen frechen Cancan. Aber das geht uns gar nichts an und die Handlung wird jedenfalls nicht auf ein solches Offen­bachsches Finale hinausgeführt. Das liegt mir gar nicht, und ich weiß auch nicht, ob Ihnen der Cancan sehr liegt.“

Die Angst, dass die Musik die Konversation seiner Figuren überdecken und unverständlich machen würde, war durchaus berechtigt. Aber auch wenn die Zeit der Parlando-Rezitative vorbei war und der volle Orchestersound die Leute begeisterte, zeigte der Komponist viel Respekt für die Arbeit seines Textdichters. Strauss war sogar an singenden Schauspielern interessiert und an für Verständlichkeit sor­­genden Dirigenten, wie er in Erinnerungen an die ersten Aufführungen meiner Opern 1942 erkärte: 
„Mein Gesangstil hat das Tempo des rezitierten Dramas und kommt oft mit der Figuration und Polyphonie des Orchesters in Konflikt, und nur hervorragende Dirigenten, die selbst etwas von Gesang verstehen, können hier den dynamischen und motorischen Ausgleich zwischen Schauspieler und Taktstock schaffen.“

 

Reise in die Vergangenheit

 

Was den beiden mit ARABELLA dann 1929 gelang, ist zwar nicht oft direkt lustig, aber stellenweise bissig, ironisch und gesellschaftskritisch, wenn auch schwer mit der FLEDERMAUS und Offenbach vergleichbar. Diese letzte Zusammenarbeit wurde durch Hofmannsthals Tod jäh unterbrochen. Der Dichter erlag zwei Tage nach dem Selbstmord seines Sohnes am 13. Juli 1929 einem Schlaganfall. Der Kom­­po­­nist hatte Hofmannsthal am 14. Juli 1929 noch ein Telegramm geschickt, das von diesem nicht mehr geöffnet wurde: „Erster Akt ausgezeichnet. Herzlichen Dank und Glückwünsche. Treu ergeben Dr. Richard Strauss.“ Vermutlich aus Pie­tät änderte Strauss dann nichts mehr am Textentwurf des zweiten und dritten Aktes und komponierte alles so, wie Hofmannsthal es hinterlassen hatte. Strauss Musik bewahrt dabei eine gewisse Distanz, sie umgibt die Figuren nicht immer nur mit figurschmeichelnder Mondscheinatmosphäre, sondern wirft auch unbarmherzig sezierende Schlaglichter.

Dadurch bekommt die Musik des späten Strauss in all ihrer scheinbaren Albernheit eine große Qualität. Sie geht parodistisch und selbstironisch mit Opernklischées um. Stellenweise hat diese Musik sogar Stummfilmqualität und „untermalt“ alle Gags. Durchaus kapitalismuskritisch kommentiert sie den neureichen Provinzler, der seine Brieftasche zücken und seinen zukünftigen Schwiegervater auf simpelste Art bestechen kann: „Teschek, bedien’ dich“. Hier nutzt Richard Strauss seine Theatererfahrung und komponiert die Pointe überdeutlich brutal und lässt sie leitmotivisch wiederkehren. Teschek (geschrieben tessék) ist ungarisch und bedeutet: bitteschön, eine Operettenvokabel wie „Kukuruz“, „Gulasch“ und „Csárdás“, die das österreich-ungarische Reich symbolisieren und das Stück in eine Tradition stellen mit Kalman und Lehàr. Also eigentlich ist ARABELLA eine Operette, wie Strauss es sich gewünscht hatte. Nur dass Strauss, Richard nicht so schmissige Walzer geschrieben hat wie die andern Sträuße. Aber dass der Bariton redet wie ein Operettenonkel ist nur eines von vielen Details, die dieses Stück inte­res­­­sant machen. Es ist vor allem „selbstreferenziell“, d.h. es betont ständig seine eigene Kunstform, betont ist vielleicht sogar zu wenig gesagt, man kann schon sagen: übertreibt oder sogar parodiert. Strauss lässt Figuren als Typus in ihrer Bühnentradition agieren, à la „Schaut's her, i bin die Fiaker-Milli, i prostituier mich durch Koloraturen, tirili“ und der Verkauf der Braut braucht kein Duett mehr, sondern es genügt ein Schlagwort als Leitmotiv: „Teschek, bedien’ dich!“. Immerzu geht es um Geld, niemand verschleiert das, denn die bürgerliche Familie ist ja eine Interessengemeinschaft, ein Geschäftsmodell. Hofmannsthal und Strauss waren privat ziemlich geschäftstüchtig, kannten sich nicht nur mit der Kunst, sondern auch mit Tantiemenabrechnungen aus, doch kapitalistische Profitsucht war immer Zielscheibe ihrer Kritik. Das knisternde Geldscheine offerierende „Teschek, bedien’ dich“-Thema hat Strauss zum einprägsamsten Motiv gemacht, es bleibt noch stärker im Gedächtnis haften als der Ohrwum „Aber der Richtige, wenn's einen gibt für mich …“

Umso deutlicher wird dann die Ausnahme: wenn Arabella am Ende die Zügel in die Hand nimmt und den Männern die Meinung geigt, hört man kaum mehr Parodie oder ironische Orchesterkommentare. Diese Frauenfigur ist zwar romantisch naiv wie eine Heroine aus „Stolz und Vorurteil“ oder „Emma“, aber sie ist als handelnde Figur authentisch und klar. Und das Beste: Sie braucht keinen Mr. Darcy oder sonst wen, um ihrer kleinen Schwester und sich die Selbstachtung zu bewahren. 
Erst durch ihre Selbstemanzipation am Ende versteht man, warum die Oper ARA­BELLA heißt, wo doch die kleine Schwester Zdenka resp. der kleine Bruder Zdenko eigentlich die interessantere Doppelrolle ist. 

 

Faszinierender Geschlechtertausch

 

Die briefschreibende Zdenka, in Verkleidung als Zdenko, als junger Mann, der für den Bräutigam seiner Schwester schwärmt, ist eine Konstellation, mit der sich Hofmannsthal wohl am meisten identifizieren konnte. Hier ist auch die Intrige am stärksten, das Spiel mit echten Gefühlen in irreführender Verkleidung. Ob Hofmannsthal sich selbst manchmal gewünscht haben könnte, als Frau unter Menschen gehen zu können, ist natürlich Spekulation, aber vertraut war ihm sicher die Außenseiterrolle in einer patriarchalisch-restriktiven Gesellschaft und nicht nur ihm, sondern auch vielen Menschen im Publikum. In Österreich wurde Homo­sexualität erst 1971 legalisiert, zu Hofmannstahls Zeiten standen noch 5 Jahre Zuchthaus auf „Unzucht wider die Natur“, kein Wunder, dass das Verstecken und Verschleiern so große Bedeutung für den Dichter hatte.

Ist es nun schade, dass Zdenka nicht ins Wasser geht und die Tragödie durch eine bürgerliche Heirat ersetzt wird? Im Gegenteil, denn durch den drastischen Twist am Ende wird das Stück, das sich scheinbar so viel Mühe gab, die alte Zeit von 1860 wieder aufleben zu lassen, dann doch modern. Eigentlich verhalten sich alle Figuren total vorhersehbar und ganz im Rahmen ihrer Rollenklischees, aber als dann die Katastrophe eintritt, nimmt der Autor seine Schachfiguren vom Brett und sagt: Ich stelle euch nochmal neu auf. Ich mache einfach Arabella zum Sprachrohr einer höheren Vernunft und alles wird gut.

 

Ablehnung toxischer Männlichkeit

 

ARABELLA wird dadurch zu einer politischen Oper, dass sie dem Muster von der männlichen Allmacht am Ende nicht mehr folgt. Es ist nicht sicher, ob sich Strauss dieser Tatsache überhaupt bewusst war. Er selbst betonte ja gern, er wäre „un­po­li­tisch“.

Uri Ganani, der mit „Konvention und Emanzipation 2018“ ein Buch über „Weibliche Stim­men in der Opernwelt von Richard Strauss und Hugo von Hof­mannsthal“ ver­­­­öffentlichte, ist der Meinung, dass Richard Strauss und Hof­mannsthal nach SA­LOME und ELEKTRA nicht nur die musikalische Avant­garde aufgaben, indem sie sich von Schönbergs Kreis fernhielten, „sondern auch ein weiteres traditionelles Merkmal, das die romantischen Opern des 19. Jahr­hunderts ausgezeichnet hatte: den performativen Tod der Opernheldin.“ 

Damit weist er auf ein Muster europäischer Kultur- und Kunstgeschichte hin, das nicht zuletzt Catherine Clément in ihrem 1994 in deutscher Übersetzung erschienen Buch „Die Frau in der Oper. Besiegt, verraten und verkauft“ beschreibt. Clément schlägt vor, die Oper als systematisches ‚Liquidierungsprojekt‘ weiblicher Charaktere zu sehen: Der erhabene Gesang der Heldinnen verschleiere im Grunde nur die Tötungspraktiken. 

Über ein ähnliches Phänomen in der Malerei schrieb Elisabeth Bronfen das Buch: „Nur über ihre Leiche: Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“ und zitiert darin den amerikanischen Lyriker Poe: „Der Tod einer schönen Frau“ proklamierte Edgar Allan Poe 1846, „ist ohne jeden Zweifel das poetischste Thema auf der Erde.“ 

Das Verfahren ist ein patriarchalisches Grundmuster und klassisch in der Kunst. Nachdem General Agamemnon seine Tochter Iphigenie auf dem Scheiter­haufen opferte, um den Trojanischen Krieg anfangen zu können und Shake­speares Ophelia wegen Hamlet ins Wasser ging, war auch auf der Opern­bühne das Frauentöten – speziell natürlich das Opfer von Sopran singenden Jungfrauen – zum Standard und zur weidlich ausgekosteten Tradition geworden.

Aber nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Lage. Frauen hatten nicht nur angefangen, die Hosen ihrer im Krieg gefallenen Männer zu tragen und notgedrungen Männerarbeit zu übernehmen, sie waren auch unübersehbar in kulturelle Gebiete vorgedrungen, die lange Zeit Männerdomäne gewesen waren. Plötzlich waren sie nicht mehr nur Objekte, die verkauft, geraubt oder ermordet wurden, plötzlich gab es ein Publikum, das sich für die psychische Befindlichkeit von Frauen interessierte. Freud hatte mit der Erfindung der Psychoanalyse dieser neuen Wahrnehmung eine wissenschaftliche Betrachtungsweise zu geben versucht. Anekdotisch interessant vielleicht in diesem Zusammenhang auch, dass die Sängerin Lotte Lehmann 1964 in ihrer Autobiografie beschrieb, wie sie nach dem Tod ihrer Mutter das Auftreten als Arabella als therapeutische Hilfe zu Trauerbewältigung erleben konnte, sie schrieb: „Es war eine Erfahrung, die ich niemals vergessen werde. Keine Macht ist stärker als die der Musik. Für zwei geschlagene Stunden ermöglichte sie mir, meine tiefe persönliche Trauer zu vergessen, Arabella zu sein und nicht mein eigenes, von Schmerz gebrochenes und trauerndes Ich.“ 

Eine veränderte Publikumsstruktur (mehr Frauen im zahlenden Publikum) nach dem Ersten Weltkrieg bewirkte eine veränderte Darstellung von Frauen­schick­salen. Ein ähnliches Phänomen hatte ja die deutschsprachige Literatur erlebt, die sich enorm verändert hatte, seit Ende des 18. Jahrhunderts die Zahl der des Lesens kundigen Frauen stieg. Ein Bestseller-Autor wie Jean Paul, aber auch viele Schriftstellerinnen wie Helmina von Chézy oder Bettina von Armin verdankten ihre Karriere einzig und allein der weiblichen Leserschaft, sei es als Buch­käuferinnen oder als Abonnentinnen von Zeitschriften. 

Mit dem Aufkommen einer Bürgerschicht, die sich Theaterkarten leisten konnte, entstand auch ein bürgerliches Opernrepertoire. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren noch langatmige Ballette, bei denen sich männliche Opernbesucher durchs Opernglas die Beine der Tänzerinnen beguckten, die Kassenschlager. Später waren herzzerreißende Familiendramen auf dem Vor­marsch. 
Aber nicht nur auf der Bühne bekamen die Frauen einen anderen Stellen­wert. Sie wurden von Strauss und Hofmannsthal jetzt auch als wichtiges „Ziel­publikum“ wahrgenommen. Misogyne Sprüche wie in der ZAUBERFLÖTE von Mozart und Schikaneder („Ein Weib tut wenig, plaudert viel“ oder „Bewahret euch vor Weibertücken… Manch weiser Mann ließ sich berücken“ oder „Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten“) waren nicht mehr up to date. Die Goldenen Zwanziger hatten ein neues Lebens­gefühl ermöglicht und ARABELLA reflektiert das. Seltsamerweise war die Oper auch von den Nazis sehr geschätzt, Hitler war bei der Premiere anwesend und ARABELLA blieb bis 1945 die meistgespielte zeitgenössische Oper der braunen Ära. Weil die deutschen Nationalsozialisten die Premiere 1933 zum demonstrativen Kulturspektakel machten, geriet der Bezug auf die Zwanziger aus dem Blickfeld und die Oper wurde damit für lange Zeit in Misskredit gebracht. Aber das muss nicht bedeuten, dass sie reaktionär war und für immer unaufführbar, denn auch Beethovens Befreiungsoper FIDELIO war bei den Faschisten sehr beliebt. 

 

Aufbruch in die Utopie

 

Heutzutage kann das Theater einen Rahmen schaffen, in dem die Botschaften alter Stücke analysiert und kommentiert werden können. Es lohnt sich, zu versuchen, unter Zugabe von ein paar Tropfen szenischen Humors neue interessante Ver­sionen alter Stücke auf die Bühne zu bringen.

Für so eine Version spricht ein Zitat des jungen Poeten Hugo von Hofmanns­thal, ge­schrieben 1892:
„Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eignen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie unsrer Seele,
Unsres Fühlens Heut und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonieen, Episoden …“

Zollen wir den Werkschöpfern die verdiente Hochachtung, denn sie haben sich gegen eine zu ihrer Zeit noch selten hinterfragte Tradition gestellt, die Heldin aus ihrer Opferrolle entlassen und weibliche Stärke postuliert. Und das, obwohl sie privat wenig Grund hatten, die Partei der Frauen zu ergreifen, und es ein langer Weg dahin gewesen sein muss. Nicht nur, dass in SALOME noch der ordnungsgemäße Tod der Titelheldin am Schluss steht, auch in ELEKTRA hat Hofmannsthal seine Titelheldin sterben lassen, obwohl das nicht der antiken Überlieferung entspricht. Und besonders deutlich lässt sich an dem zwischen 1911 und 1919 entstandenen Werk FRAU OHNE SCHATTEN ablesen, wie sehr die Autoren unter der gesellschaftlichen Norm der heterosexuellen Ehe gelitten haben und wie groß ihr Bedürfnis nach sich unterordnenden Ehefrauen noch gewesen sein musste. Umso größer wird ihr operngeschichtliches Verdienst, wenn sie 15 Jahre später nicht mehr den Frauen die Schuld und die Opferrolle der spätromantischen Oper zuschreiben, sondern sich an den starken Frauen der italienischen Opera buffa orientieren. Dort kommt es nicht selten vor, dass Frauen ihr Schicksal in die Hand nehmen, auch dass sie sich mit anderen Frauen verbünden und gemeinsam den Männern die Stirn bieten – bekanntestes Beispiel sind Susanna und die Gräfin aus FIGAROS HOCHZEIT. Statt dass die Gräfin auf Susanna eifersüchtig wird, entwickeln die beiden Pläne, um den Grafen zur Raison zu bringen. Letztlich ist es diese Solidarität, die das Happyend möglich macht. Auch in ARABELLA geschieht das Erstaunliche: Arabella ist nicht wütend auf Zdenka. Statt Vorwürfen sagt sie einfach „Ich bin bei dir, ich lass dich nicht im Stich.“ und „Du bleibst bei mir. Und was dir auch geschehen ist, an dir ist nichts geschehn, dass man dich weniger lieb müsst haben!“ 

Obwohl Zdenkas aus Verzweiflung geborene Liebesintrige Arabella den gerade gefundenen Bräutigam entfremdet hat, versteht und entschuldigt sie Zdenka und zieht für sich sogar noch die Lehre: 
„dass wir nichts wollen dürfen, nichts verlangen,
abwägen nicht und markten nicht und geizen nicht,
nur geben und lieb haben immer fort!“

Hofmannsthal setzt mit Arabellas an sich selbst und alle gerichtete Forderung, nicht zu „markten“ und zu „geizen“ am Ende noch einmal die gesellschaftskritische Linie des Stückes fort, die ebenfalls aus der Opera buffa kommt und schon im ersten Akt eine Rolle spielt. „Markt“ und „Geiz“ als Grundvokabeln unserer gesellschaftlichen Realität werden verachtet und stattdessen die utopische Energie der Musik beschworen „auf Freud und Leid, und Wehtun und Verzeihn!“. Utopisch beschworen wird eine Liebe jenseits von Geschlechterklischees und Rollenzuschreibungen, die nur zwischen Menschen besteht, die selbstbewusst genug sind zu sagen „Nimm mich, wie ich bin!“.