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Blick zurück nach vorn - Deutsche Oper Berlin

Blick zurück nach vorn

Er hat Regisseurinnen und Regisseure vom Schauspiel an die Oper herangeführt, mit Korngold, Langgaard und Schreker vergessene Werke der Zwanziger Jahre auf die Bühne gebracht, die Grand Opéras von Giacomo Meyerbeer neu aufgeführt. Und wie kein anderer neue Werke beauftragt, nahezu jedes Jahr eine Uraufführung. Ein Rundgang mit Dietmar Schwarz durch zwölf Jahre Intendanz

 

Dietmar Schwarz, Sie haben in zwölf Jahren Intendanz so viele Opern in Auftrag gegeben wie kaum ein anderer Intendant in Europa.
Wenn das so stimmt, dann trifft das sogar auf die Welt zu. Wo sonst, wenn nicht in Europa, sollte neues zeitgenössisches Musiktheater entstehen?

Warum neue Opern? Ist nicht alles erzählt?
Der Komponist Alfred Schnittke hat mal gesagt, Musiktheater besteht aus geschminkten Leichen: Werke toter Komponisten, die immer wieder in neuer Form präsentiert werden. Ich habe das Glück, dass ich mein ganzes berufliches Leben mit meiner großen Leidenschaft verbringen durfte, mit Musiktheater. Am interessantesten fand ich dabei stets die Arbeit mit Menschen, die im Heute leben. Und damit meine ich nicht nur die Interpreten, sondern eben auch die Macher. Unsere Arbeit ändert sich elementar, wird anders inspiriert, sobald wir ein Gegenüber haben, mit dem wir wirklich reden können. Die Spielpläne eines Opernhauses entstehen als Teamarbeit. Zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten in diesen Entstehungsprozess einzubeziehen, ist enorm wertvoll.

Worin besteht der Wert aktueller Arbeiten?
Genau darin, in der Aktualität. Opernhäuser erhalten viel staatliche Unterstützung. Das Abbilden und die Pflege zeitgenössischer Positionen gehören zu unserer Aufgabe, also machen wir das auch. Natürlich müssen sich die zeitgenössischen Werke ihr Publikum erst erspielen. Gegen die starken, teilweise über Jahrhunderte kanonisierten Werke, muss sich alles durchsetzen, was neu ist.

Was braucht eine neue Oper, um Erfolg zu haben?
Sie braucht eine gute Geschichte. Und die muss sich im Kern spiegeln, in der Musik – aus der Musik speist sich letztlich der Erfolg. Gerade haben wir das mit WRITTEN ON SKIN erlebt: Die Story ist gut, zeitlos im wahrsten Sinne. Vor allem aber ist George Benjamin ein Komponist, der in der Lage ist, Musik zu schreiben, die Menschen berührt.

Stichwort zeitlos: Als Auftakt ihres Starts an der Deutschen Oper Berlin, im Herbst 2012, spielten Sie DAS MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN von Helmut Lachenmann. Ein modernes, politisches Werk, manche finden es sperrig, andere genial. Eine Kalibrierung zwischen Ihnen und der Stadt?
(Lacht). Berlin ist nicht die Stadt, die darauf gewartet hat, dass ich komme, um neue zeitgenössische Opern aufzuführen. Das gab es vorher auch.

Aber nicht in der Menge wie in den Jahren darauf.
Stimmt. Als Zeichen war es sicher wichtig, mit einem zeitgenössischen Werk zu beginnen.

Publikum und Presse waren begeistert. Anschließend haben Sie sich das Repertoire vorgenommen.
Und wir eröffneten die »Tischlerei«. Schon bei meinen Verhandlungen mit dem Senat war es mir ein Anliegen, eine Spielstätte für komplett Ungehörtes zu haben, für junge Künstler, Experimente, zeitgenössische Bearbeitungen.

Was macht die Experimente der Tischlerei wichtig?
Sie schaffen Dialoge, öffnen das Haus, bieten Chancen. Es macht einen Unterschied, ob Sie eine gängige Oper nehmen und die Regie sie inszenatorisch neu deutet oder ob Sie an die Musik direkt herangehen und zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit ihr in Dialog treten lassen. So können Ideen entwickelt werden, neue Formen dessen, was Oper sein kann. Wir haben in zwölf Jahren Tischlerei hunderte neuer Musiken aufgeführt, von Klangexperimenten über Kinderopern, von Remix-Abenden bis zu neuem Musiktheater junger Talente, die wir anschließend ins große Haus holen.

Stimmt. Zuletzt geschehen mit NEGAR, von Keyvan Chemirani und Marie-Ève Signeyrole, eine Oper, die im Iran spielt, die Musik war sehr zugänglich, romantisch, genau zwischen europäischer Moderne und persischer Klassik, passend zur Geschichte.
Fand ich auch. Und die Regisseurin wird nun Verdis MACBETH inszenieren auf der großen Bühne.

Woran liegt es eigentlich, dass zeitgenössische Opern so klingen wie sie klingen? Als wolle man unbedingt alles Melodische vermeiden. Kein Schwelgen, keine Arien, keine Emotionen. Entschuldigung, darf man das einen Intendanten überhaupt fragen?
(Lacht) Man sollte sogar! Die emotionale Reaktion auf Musik hat immer mit Hörgewohnheit und Erfahrung der Person zu tun, die zuhört. Wenn Ihre Idee von Sehnsucht zum Beispiel an der sterbenden Violetta hängt, dann dürften Sie es mit anderen Klängen schwer haben. Hingegen hat ja George Benjamin in WRITTEN ON SKIN gerade gezeigt, dass Erotik anders klingen und bewegen kann.

Stimmt. Die Musik, der Abend war, um es jugendfrei auszudrücken, extrem stimulierend.
Sehen Sie, und das war zeitgenössisch! Schostakowitsch hat mal für LADY MACBETH VON MZENSK einen Orgasmus komponiert, aus heutiger Sicht sehr eindeutig, aber damals hat das viele irritiert, viele haben es nicht verstanden. Um die Emotionalität neuer Musik zu erschließen, brauchen Sie Zeit, eine gewisse Hörerfahrung, manchmal sogar viel Zeit. Das kann man nicht von jedem Gast verlangen. Aber wir reden über Oper; und Opernpublikum ist nun mal interessiert, neugierig, leidenschaftlich. Neue Arbeiten oder Wiederentdeckungen begleiten wir natürlich mit Veranstaltungen, Kolloquien, Gesprächen über Komponisten, ihre Zeit und die Hintergründe.

Zwölf Jahre Intendanz in Berlin ist eine lange Reise. Entwickelt man sich da auch gemeinsam weiter: Intendant, Stadt, Team, Publikum?
Was soll ich darauf sagen? Ein »Nein« wäre traurig. Ich weiß noch, als wir im Januar 2020 A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM von Benjamin Britten aufführten, nicht zeitgenössisch, aber doch sperrig. Auch dieses Werk hat bei uns viel Publikum gefunden, die Vorstellungen waren sehr gut besucht. Ich schaute mich um und dachte: »Wow, jetzt haben, wir wirklich viel erreicht«. Dann kam die Pandemie.

Und alle Häuser mussten schließen.
Und wir mussten uns erst mal nur mit Zahlen und anderen Dingen auseinandersetzen. Aber wir haben unsere guten Besucherzahlen von vor der Pandemie wieder erreicht und unser Publikum wiedergewonnen.

Wie haben Sie das gemacht?
Ich glaube, es ist für ein Haus wie die Deutsche Oper Berlin besonders wichtig, im Gespräch zu bleiben. Wir sind ja nicht nur die größte Oper in Berlin, wir haben auch das größte Stammpublikum. Das bedeutet, wir haben es mit Menschen zu tun, die sich mit dem Haus identifizieren, sich gern und leidenschaftlich über Neuinszenierungen aufregen, aber immer wiederkommen. Bei uns wird mehr applaudiert, mehr gebuht als an anderen Häusern. Die Dynamik, die wir bei manchen Neuinszenierungen erleben, ist enorm – positiven wie negativ. Diese Lebendigkeit muss man aushalten.

Bei der Castorf-Inszenierung von LA FORZA DEL DESTINO kam es bei der Premiere fast zu Tumulten.
Ja, das war mir persönlich zu viel, ich empfand das als ungerecht. Aber Lars Eidinger war in der Premiere, er nahm mich anschließend beiseite und sagte, sowas würde er gern mal im Schauspiel erleben.

Sie haben als Intendant zahlreiche Regisseurinnen und Regisseure vom Schauspiel an die Oper geholt. Warum?
Weil es dem Spiel guttut und dem Erzählen von Geschichten. Früher waren Operninszenierungen auf Bühnenbild, Ausstattung und Gesang fokussiert. Es kann belebend sein, das nachvollziehbare Spiel in den Vordergrund zu stellen. Ich habe das schon immer gern gemacht, schon an anderen Häusern: Kreative vom Schauspiel für die Oper gewinnen.

Die Operndebüts können aber auch nach hinten losgehen. Was sind die Fallstricke?
Wenn eine Inszenierung zu wenig aus dem Stoff, aus der Musik entwickelt wird, kann es schwierig werden. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes daneben, wird zu bunt, zu laut, zu oberflächlich.

Eine der glücklichsten Produktionen der letzten Jahre dürfte ANTIKRIST gewesen sein. Allein diese sperrige, eigensinnige »Oper« von Rued Langgaard auszugraben, dann auch noch Ersan Mondtag zu gewinnen. Wie kam es dazu?
Ein Kollege hatte mich auf Ersan Mondtag aufmerksam gemacht. Ich habe mir daraufhin seine Stücke am Gorki Theater angeschaut. Mondtag kommt ja vom Bühnenbild, die moderne Opulenz seiner Arbeiten ist für Musiktheater wie geschaffen. Wenn man nur vom Text her denkt, hilft das nicht. Mondtag hat auch einen emotionalen Zugriff auf die Musik. Perfekte Voraussetzungen.

Anderes Beispiel ist Karabulut. Erst GREEK auf dem Parkdeck, dann die Inszenierung von IL TRITTICO letztes Jahr.
Karabulut war eine Entdeckung unserer Dramaturgin Dorothea Hartmann, die ihre Inszenierungen an der Volksbühne gesehen hat. Die Kunst liegt darin, Produktionen zu finden, die wirklich passen, und Puccini mit seiner Klarheit und Karabulut mit ihrer Direktheit passen wirklich perfekt. Und dann muss man diese Debüts dabei begleiten, den großen Apparat, den eine Opernproduktion immer mit sich bringt, in den Griff zu kriegen: Chor, Bühne, Technik, zum Spiel das Spiel der Sängerinnen, Sänger. Alle müssen sich vorher intensiv mit der Idee beschäftigen, viel reden. Wenn ich mich als Intendant in die Probe setzen muss, ist der Zug längst abgefahren, dann ist es zu spät.

Warum alte Opernstoffe überhaupt neu inszenieren?
In jeder Oper liegt die Chance, Gegenwart und Gesellschaft mit Nachdenklichkeit zu betrachten. Und: In dem Moment, in dem Sie mit der Erwartungshaltung brechen – wie zum Beispiel sehr erfolgreich bei AIDA –, haben Sie auch die Chance, den Kern eines Werkes neu zu betrachten. Sie aktualisieren also auch das Stück. Aber man muss nicht immer alles neu machen. Ich persönlich liebe die Mischung aus Museum und Galerie, aus alten und neuen Positionen. Aus diesen Polen entsteht Spannung.

Ist das der Grund für die Wiederentdeckungen? Mit Korngold, Schreker und Co. kam die Oper der Zwanziger Jahre zurück. Davor der Meyerbeer-Zyklus.
Wir haben vorhin über den Opernkanon gesprochen und das Sediment der Geschichte. Viele dieser Komponisten sind in Vergessenheit geraten, nicht weil ihre Werke schlecht waren, sondern weil sie der falschen Glaubensgemeinschaft angehörten. Hier geht es also um Politik und Geschichte – und auch in diese Richtung blicken wir. Diese Perspektiven bilden die Weite des Genres ab, sie nutzen die Größe und das Potenzial eines Hauses wie die Deutsche Oper Berlin – inklusive das unseres Umfelds, in Wissenschaft und Gesellschaft.

Wie beauftragt man eine neue Oper? Was kommt zuerst? Stoff oder Komponist?
Zunächst einmal brauchen Sie eine Komponistin oder einen Komponisten, die ein Werk für große Häuser schreiben können. Orchester, Chor, Sängerinnen und Sänger, da kommt einiges zusammen.

Wie lange ist der Vorlauf für eine Neuproduktion?
Nehmen Sie IL TEOREMA DI PASOLINI von Giorgio Battistelli, das hat von ersten Gesprächen beim Abendessen in Rom bis zur Uraufführung vier Jahre gedauert. Und so viel Zeit brauchen Sie auch. Battistelli hatte vorher für Häuser in Rom oder Paris geschrieben, eine Oper in Berlin zu veröffentlichen, fand er natürlich interessant. Wir sind seit Jahren befreundet, haben uns immer wieder getroffen und über Stoffe unterhalten. Battistelli kommt meist von der Literatur, ich hatte mit ihm bereits AUF DEN MARMORKLIPPEN entwickelt, eine Oper basierend auf Ernst Jünger. Irgendwann kamen wir auf Pasolini und »Il Teorema« – da stimmt das Package, Pasolini ist bekannt, der Stoff ist super und eine Oper aus einem Film zu entwickeln, das hat was.

Erlauben Sie am Ende zwei Fragen?
Bitte.

Was ist Musiktheater? Dramaturgen benutzen den Begriff so gern.
Jemand sagte mal, Musiktheater klinge für ihn wie Geschlechtsverkehr. Ich mag den Begriff Oper auch lieber, das beschreibt die Opulenz, die Größe, den Tiefgang, die Leidenschaft viel besser.

Was machen Sie nach der Deutschen Oper Berlin?
Mich den kleineren Dingen des Lebens widmen.

Interview: Ralf Grauel