„Eine Grand Opéra des 21. Jahrhunderts“ - Deutsche Oper Berlin

Ein Gespräch mit Kai Luehrs-Kaiser

„Eine Grand Opéra des 21. Jahrhunderts“

Regisseur Christof Loy und Dirigent Thomas Søndergård über die Oper „Edward II.“ von Andrea Lorenzo Scartazzini

„Edward II.“ gilt als ein Stoff mit einer ausgeprägt sexuellen, genauer gesagt: homosexuellen Unterbedeutung. Bei Ihnen auch?
Christof Loy: Die Homosexualität des Titelhelden spielt in der Tragödie von Christopher Marlowe, die eine der Quellen des Librettos ist, eine zentrale, nicht zu leugnende Rolle. Sie hat direkt mit dem Grundkonflikt des Helden zu tun. Der besteht darin, dass seine Homosexualität zu der Zeit, wo er herrschte, als Todsünde behandelt und von der Kirche verteufelt wurde. Edward bekannte sich jedoch öffentlich dazu. Er hatte einen Liebhaber und nach dessen Tod mehrere Günstlinge. Dadurch bot er seinen politischen Feinden eine große Angriffsfläche. Allgemeiner gesprochen: Es ist eine Außenseiter-Oper.

Und damit eine Uraufführung, in der tatsächlich einmal eine Geschichte erzählt wird?!
Loy: Ja, so ist es. Es handelt sich um eine narrative Oper mit einem dramatischen Konflikt, der in der Katastrophe endet. Edwards Frau, Isabella, die sich von ihrem Ehemann vernachlässigt sieht, verbindet sich mit dessen Feinden. Sie versucht, ihn für geisteskrank erklären zu lassen, und konspiriert schließlich sogar mit seinen Mördern. Der Stoff lässt wahrlich nichts zu wünschen übrig.

Thomas Søndergård © Agentur
Christof Loy © Monika Rittershaus
 

Klingt – für eine zeitgenössische Oper – geradezu altmodisch!
Loy: Ich gestehe, dass Theater für mich immer mit Psychologie zu tun haben muss. Anders kann ich nicht.

Es gibt in „Edward II.“ nur eine einzige große Frauenrolle. Handelt es sich eher um eine Männeroper wie „Parsifal“, „Billy Budd“ oder „Aus einem Totenhaus“?
Thomas Søndergård: In meinen Ohren ist das keine Männeroper. Was ich wahrnehme, ist vielmehr eine Fülle kleiner, eng beieinander liegender Intervalle und „schmaler“ Akkorde, in denen die Beengtheit der damaligen Verhältnisse sehr schön zum Ausdruck kommt. Derlei habe ich so noch nie bei einem Komponisten gefunden. Auch vom Tonband kommen einige Chor- und Orchesterpassagen, ebenso einige Synthesizerklänge.
Loy: Ich würde eine reine Männeroper wie etwa „Billy Budd“, ehrlich gesagt, nicht inszenieren wollen. Die weibliche Stimme würde mir fehlen. Parallel zum Fall Edwards wird aber in Gestalt von Isabella geradezu eine eigene Emanzipationsgeschichte erzählt. Es ist eine große Rolle mit eigenem Konflikt und von geradezu shakespearschem Format. Sie ist Teil eines größeren gesellschaftlichen Panoramas, in dem der Herrscher zum Diktator wird. Sein Minderwertigkeitskomplex schlägt um in Größenwahn.
Søndergård: Bei der Titelrolle, gesungen von Michael Nagy, handelt es sich um einen Heldenbariton. Im Übrigen darf man sich hier getrost von der Vorstellung lösen, dass Tenöre hysterisch veranlagt sind und Baritone sensibel. Es geht um allgemeine menschliche Beziehungen. So wie ja auch Verdis „Rigoletto“ keineswegs von einem buckligen Hofnarren handelt, sondern von einem Drama um Väter und Töchter. Bei uns geht es um die Frage: Was heißt eigentlich ‚Liebesbeziehung’?

Spürt man im Libretto von Thomas Jonigk das Elisabethanische Zeitalter?
Loy: Ich empfinde das so. Es mutet noch immer sehr shakespearianisch an. Da gibt es auch den Kontrast des Tragischen und des Komischen, so wie man ihn ähnlich im „Hamlet“ in Gestalt der für zwei Komiker geschriebenen Totengräber findet. Es gibt Joker-und Narrenfiguren, wie sie für die damalige Form des Theaters typisch waren.

Warum hat man dann nicht gleich den Text von Christopher Marlowes Tragödie „Edward II.“ vertont?
Loy: Ich glaube, dass dem Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini der Dialog mit einem lebenden Autor sehr wichtig ist. Thomas Jonigk hat neben dem Drama von Marlowe – von dem es, nebenbei gesagt, auch eine Verfilmung mit Tilda Swinton als Isabella gibt – noch andere zeitgenössische Quellen verarbeitet. Darunter die „Vita Edwardi Secundi“ aus dem 14. Jahrhundert und zeitgenössische Chroniken aus England, Irland und Schottland. Es handelt sich um kein bloßes Extrakt, auch keine reine Nacherzählung der Historie. Hier sind mehr Informationen eingeflossen, und einige Szenen haben einen geradezu surrealen Charakter.

Wie würden Sie den musikalischen Stil des Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini beschreiben?
Søndergård: Als saftig. Als sehr frei. Und als sehr organisch. Es wäre schwierig, einen stilistischen Begriff dafür zu finden. Schon beim ersten Blick in die Partitur fiel mir ins Auge, wie spezifisch diese Musik ist. Es gibt tonale Linien, es gibt eine reiche Klanglichkeit und Klarheit. Was mich auch anspricht und fasziniert, ist die Klangsprache des Zornes, auch des Stolzes, die man in vielen Szenen findet. Das steht in der zeitgenössischen Musik einzigartig da.
Loy: Ich würde auch sagen: Wut ist eines von Scartazzinis zentralen Themen. Dazu zählt auch der subtile, indirekte Angriff, der sich in leisen, schleichenden Unruhen zeigt. Das ist übrigens kaum anders als bei Mozart auch: Vieles, was an der musikalischen Oberfläche passiert, zeichnet sich in den unteren Stimmen, am tiefsten Rand der Partitur ab.
Søndergård: Was mir extrem zusagt, ist die Tatsache, dass hier so kantabel für Stimmen geschrieben wurde. Dadurch fühlen sich manche Stellen tonal an, auch wenn sie es eigentlich kaum noch sind.

Wie modern oder experimentell ist Scartazzini?
Søndergård: Ich würde sagen, das wissen wir noch nicht.
Loy: Er ist jedenfalls psychologischer als, sagen wir mal: Helmut Lachenmann. „Edward II.“ ist für mich eine Grand Opéra des 21. Jahrhunderts. Allerdings sehr viel kürzer. Die große Oper dauert am Ende tatsächlich nur 90 Minuten.

Herr Loy, Sie gehören zu den derzeit erfolgreichsten Opernregisseuren in Europa. Was sind für Sie selbst die Kriterien, an denen sich Erfolg misst?
Loy: Dass ich das Publikum erreiche und dass die Menschen, die in eine Aufführung kommen, aus ihrem eigenen Horizont herausgebracht werde. Ich will das Leben verändern. Ob mir das gelingt, glaube ich gelegentlich sogar merken zu können, wenn ich während der Premiere im Publikum sitze.

Passen Ihre Aufführungen überall gleich gut zum jeweiligen Publikum?
Loy: Nein, glaube ich nicht. Ich arbeite unter anderem sehr gern in Skandinavien, weil ich denke, dass es für meine Form des Erzählens dort eine große Bereitschaft gibt. Man ist durch die Ingmar Bergman-Filme sozusagen gut vorbereitet. Auch in Deutschland ist es angenehm für mich zu arbeiten, weil hier kein übertriebenes Gewicht auf das „storytelling“ gelegt wird – anders als in Amerika. Dort fehlt die Brecht-Vorgeschichte. Ich will eine Sprache finden für mein jeweiliges Publikum. Da dieses je nach Ort überall verschieden ist, bin ich skeptisch in Bezug auf Koproduktionen. Es gibt sogar Orte, an denen ich es mir schwer vorstellen kann, überhaupt zu arbeiten. Die Metropolitan Opera zum Beispiel.

Herr Søndergård, Sie stammen aus Dänemark, wie auch Michael Schønwandt und Thomas Dausgaard. Glauben Sie, dass man das hören kann?
Søndergård: Nein, bestimmt nicht. Auch die Zeiten, wo man Symphonien von Carl Nielsen oder Jean Sibelius in den skandinavischen Ländern unbedingt besser aufführte als anderswo, gehören der Vergangenheit an. Das ist einer der positiven Aspekte der Globalisierung.

Herr Loy, Sie inszenieren zum wiederholten Male ein Libretto Ihres Lebenspartners Thomas Jonigk. Entlastet dies das gemeinsame Miteinander – oder eher im Gegenteil?
Loy: Weder noch. Es belastet nicht, und es entlastet auch nicht. Ich stelle fest, dass ich das Libretto immer erst nach dem Komponisten überhaupt zu sehen kriege. Erst dann, wenn es um Sängerfragen geht. Ich habe in diesem Fall mehr Kontakt zu dem Komponisten gehabt als zu dem Librettisten, mit dem ich verheiratet bin.

Und wie finden Sie das?
Loy: Es ist eine klare Kompetenzverteilung, und genau so muss es sein. Unsere Diskussionen werden nicht am Küchentisch fortgesetzt. Das ist wichtig. Niemand braucht Sorge zu haben, dass sich eine Allianz bilden könnte, nur weil wir privat miteinander verbunden sind. Ich freue mich jetzt schon darauf, wenn es zu dieser Ausnahmesituation für uns in Zukunft noch einmal kommt. Geplant ist es aber nicht.

Ersterschienen in der Beilage der Deutschen Oper Berlin in der Berliner Morgenpost, Februar 2017

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