Mischa Tangian - Deutsche Oper Berlin

Mein Seelenort

Mischa Tangian

Mischa Tangian ist Komponist und Geiger – und hat das Babylon Orchestra gegründet, seine Antwort auf die Migrationswelle. Er führt uns an den Ort, ohne den das Orchester nicht existieren würde.

Das Café Breakout ist im selben Haus, in dem wir mit unserem Orchester proben. Hier sitzen wir in den Pausen, trinken Tee und Kaffee und unterhalten uns. Das Haus ist ein kirchliches Sozialzentrum; das Café selbst ist ein Non-Profit-Unternehmen, das benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützt. Wir proben hier seit drei Jahren, ohne Miete zahlen zu müssen. Das ist ein wahnsinniger Luxus. Der Ort bedeutet mir sehr viel – ohne ihn würde das Babylon Orchestra wahrscheinlich nicht existieren.

Musik braucht keine Worte. Sie schafft Verbindung und funktioniert ohne Sprachbarriere. Darum wollten die Musikagentin Sofia Surgutschowa und ich während der Migrationswelle 2016 ein Orchester mit Geflüchteten gründen. Bei einer Hilfsveranstaltung haben wir Pastor Jonathan Scheer kennengelernt. Er hat uns den Proberaum angeboten. Es gab sogar eine musikalische Ausstattung, Verstärker, Mikrofone und Instrumente! Wir haben sofort zugesagt.

Musiker kommen schnell mit anderen Menschen in Kontakt, sie können über die Sprache hinweg mit ihrer Kunst kommunizieren. Das erleben wir auch mit geflüchteten Musikern. Klänge lockern die Atmosphäre, gleichzeitig transportieren die Musiker mit ihrem Schaffen einen kulturellen Hintergrund, jenseits von Krieg und Flucht. Mit dem Orchester bauen wir kulturelle und persönliche Brücken auf – und Stereotypen ab. Selbst Menschen, die noch nie mit der arabischen Kultur in Berührung gekommen sind, können mit der Musik etwas anfangen. Das merken wir auch bei unseren Auftritten: Schon unser erstes Konzert war total ausverkauft. Wir konnten erst eine halbe Stunde später anfangen, weil wir noch Stehplätze arrangieren mussten.

Ich sitze gern im Café, als freischaffender Komponist und Musiker brauche ich diesen Ortswechsel, um abzuschalten, jenseits meiner vier Wände, jenseits des Internets. Ich komme ursprünglich aus Russland und da trinkt man ganz klassisch Schwarztee. Diese Teetradition verbindet mich mit vielen meiner Kollegen aus dem Orient. Wir spielen eine Fusion aus arabischen und westlichen Klängen. Dazu verwenden wir auch arabische Instrumente: die Oud, das ist eine arabische Laute, die Ney, eine Flöte, und die Darbuka, eine Trommel. Der Komponist und Musiker Osama Abdulrasol aus dem Irak spielt die Qanun, das ist eine Zither, die sogenannte Mikrotöne produziert. Die arabische Musik arbeitet mit neun Abstufungen zwischen ganzen Tönen. Diese Töne erzeugen eine große Bandbreite von Klängen mit feinen Nuancen – auf einem Klavier könnte man diese Musik gar nicht spielen. Häufig spielen wir Werke von zeitgenössischen arabischen Komponisten, MAias Alyamani aus Syrien etwa, oder Bushra El-Turk, das ist eine libanesisch-stämmige Britin, die gerade ihr Debüt bei den Proms gegeben hat, den klassischen Sommerkonzerten in London. Bei unserem Abend in der Tischlerei singt die ägyptische Opernsängerin Gala El Hadidi mit uns – lustigerweise kennt sie sich mit arabischer Musik kaum aus: Sie ist klassisch ausgebildet und singt an der Semperoper in Dresden.

Eigentlich ist nicht nur das Haus mit dem Probenraum und dem Café ein besonderer Ort für mich. Der gesamte Kiez rund um die Bergmannstraße bedeutet mir sehr viel. Wir gehen hier gemeinsam nach den Proben essen, trinken ein Bier, gehen spazieren. Leute aus der Gemeinde bringen Kuchen vorbei; es gibt sogar persische Gottesdienste. Das ist schon alles typisch Kreuzberg: Woanders wäre unser Projekt wahrscheinlich nicht möglich gewesen.

Newsletter

Aktuelles zum Spielplan
und zum Vorverkaufsbeginn
Persönliche Empfehlungen
Besondere Aktionen ...
Seien Sie immer gut informiert!

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie 25% Ermäßigung bei Ihrem nächsten Kartenkauf

* Pflichtfeld





Newsletter