Mein Seelenort

Anna-Sophie Mahler … Mein Seelenort: Der Wald

Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler holt mit WALDESRUH die Natur in die Oper. Richtig wohl fühlt sie sich unter Baumkronen, zwischen Pilzen, Laub und krabbelnden Käfern

Waldesruh
Foto:
 

Waldesruh
Ein Zeltlager ohne Bäume – Mit Morton Feldman; Dokumentarisches Musiktheater (Interviews mit Förstern, Baumexperten etc.); Musik von Morton Feldman, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Franz Schubert; Arrangiert von Michael Wilhelmi
Inszenierung: Anna-Sophie Mahler
2., 3., 12., 13., 15., 16., 17., 18. Oktober 2020

Mein Seelenort ist der Wald. Ich liebe ihn seit meiner Kindheit, egal wo ich bin, suche ich einen Platz zwischen Bäumen. Doch neulich war ich zum ersten Mal in einem völlig unberührten Waldgebiet in der Schweiz unterwegs. Die Berge dort sind so unwegsam, dass man sie nicht bewirtschaften kann. Es gibt keine Baumstümpfe, keine festen Wege, niemand greift in die Natur ein. Dort herrscht eine ganz andere Stimmung als in den Forsten weiter unten. Ich habe mich auf den Boden gelegt und einfach nur geschaut und gehorcht. Kleine Tiere flogen herum, es krabbelte leise unter mir und neben mir, die Baumkronen bewegten sich im Wind und dann drang plötzlich durch einen Spalt im Laubdach die Sonne – wie ein großes Auge. Es war ein sehr besonderer Moment, in dem ich die Zeit und die Umgebung anders wahrnehmen konnte.

Ich dachte an die Forstleute und Naturwissenschaftler*innen, mit denen ich in den vergangenen Monaten gesprochen habe. Diese Interviews verarbeiten wir in unserem Stück WALDESRUH, ein »Zeltlager ohne Bäume«, das wir in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin aufbauen. Wir versuchen dort, Natur wieder neu erfahrbar zu machen und die Sinne des Publikums zu schärfen. Dazu singt ein Chor Waldlieder der deutschen Romantik und Darsteller*innen zitieren die neuesten Forschungsthesen zu Bäumen, Totholz, Pilznetzwerken und Wurzeln und deren Kommunikation. So vieles wird da gerade erst entdeckt!

Ein kleiner Ahorn reckt sich zum Licht. Für WALDESRUH sammelte Mahler Infos über den Wald, interviewte Forstleute und Naturwissenschafler*innen © Jonas Holthaus
 

Für die Gesundheit des Waldes ist es zum Beispiel wichtig, dass das Miteinander der Pflanzen mit den kleinen Tieren, Mikroorganismen und Pilzen funktioniert. Die Bäume brauchen dieses Bodenleben ebenso sehr, wie wir etwa ein Mikrobiom im Darm benötigen. Nur hat sich lange Zeit niemand wirklich mit dem Waldboden beschäftigt. Der Bonner Neurobiologe František Baluška sagt, unsere größte Blindheit sei die Bodenblindheit, wir müssten dringend verstehen, was darin vor sich geht, um die größeren Zusammenhänge zu verstehen. Er forscht an der These, dass die Wurzeln das Gehirn der Pflanze sind und die Spitzen der Wurzeln ähnlich wie unsere Synapsen agieren. Nicht alle Expert*innen teilen diese Sicht, tatsächlich streiten sie gerade heftig über gehirnähnliche Strukturen in Bäumen.

Ich persönlich finde es wichtig, dass wir den Wald nicht nur als Holzlieferanten sehen. Er ist Ökosystem, Lebensgemeinschaft, womöglich hat er ein eigenes Bewusstsein – jedenfalls existiert er nicht für uns Menschen. Wir sind besessen von dem ewigen Missverständnis, dass die Erde uns zudienen müsse, und damit haben wir sie unwiderruflich aus dem Gleichgewicht gebracht. In Deutschland sieht man das gerade im Wald: Der Klimawandel lässt die Fichten vertrocknen, sogar unsere heimischen Buchen. Ich bin durch die hügeligen Wälder meiner nordhessischen Heimat gestreift, zu den besten Pilzstellen meiner Jugend: Sie waren einfach weg. Dort wuchs gar nichts mehr. Manche der Wissenschaftler*innen, die wir interviewt haben, sagen, die Natur ist dynamisch, sie schafft es sich der Wasserknappheit anzupassen. Es wird Neues kommen. Das soll vielleicht Hoffnung machen, aber mich macht es traurig mitanzusehen, wie wir unseren Lebensraum und den so vieler anderer Tier- und Pflanzenarten zerstören.

 

Anna-Sophie Mahler auf einer Lichtung im Grunewald. Sie liebt Mischwald, der nicht bewirtschaftet wird. Doch solche Wälder sind in Deutschland sehr rar © Jonas Holthaus
 

Schon als Kind war ich am liebsten draußen. Und auch jetzt verbringe ich die Ferien, wann immer es geht, mit meiner Familie in meinem Elternhaus. Es ist eine alte Mühle, allein gelegen, mit Waschbären und Fischreihern als Nachbarn. Ich liebe es, wie der Boden nach dem Regen riecht. Ich mag dieses ganz eigene, kühle und leicht feuchte Klima, das zwischen den Bäumen herrscht. Wenn ich das auf der Haut spüre, werde ich ganz wach.

Meine Mutter wurde im Wald immer ganz euphorisch: »Kinder, seht mal, wie schön das Licht durchs Laub fällt!« Mein Vater war Künstler und sehr naturverbunden. Er hat mit meiner Mutter an unserer Mühle einen Garten angelegt, ein richtiges Biotop, in dem auch Menschen gut gedeihen konnten. Manchmal saß er einfach nur da und betrachtete die Natur und man durfte sich gern dazusetzen. Mein älterer Sohn hat diese Liebe zur Natur übernommen, er hat im Waldkindergarten viel gelernt und kennt jetzt alle Vogelarten. Wenn ich ihn in der Natur erlebe, denke ich manchmal, mein Vater ist wieder da. Ich finde es schön, diese Liebe über Generationen weiterzugeben.

Wir leben in Zürich, mitten in der Stadt, wo wir einen kleinen, wilden Garten haben, unter anderem mit einem Magnolien- und einem Kirschbaum. Doch selbst dort vermisse ich das Leben im Wald. Wie sich im Laufe des Tages das Licht verändert, diese ganz eigenen Stimmungen in der Morgen- und Abenddämmerung, die erlebt man in der Stadt nicht. In den Straßen wird es einfach irgendwie hell und dann wieder dunkel. Wenn ich diese besonderen Lichtstimmungen eine Weile nicht sehe, werde ich nervös. Dann muss ich aus der Stadt raus. Das wird immer so sein.

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