„Da muss man alle Register ziehen“ - Deutsche Oper Berlin

Von Kai Luehrs-Kaiser

„Da muss man alle Register ziehen“

Star-Sopranistin Diana Damrau glaubt an den Belcanto in Meyerbeer und praktiziert musikalische Früherziehung im Mutterleib

Diana Damrau in „Hamlet“
Dirigent: Yves Abel
Mit u. a. Florian Sempey, Nicolas Testé, Philippe Talbot, Diana Damrau; Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Konzertante Premiere: 24. Juni 2019

Musikalische Bildung kann bereits pränatal anfangen. Diana Damrau, Mutter von zwei Söhnen, hat in beiden Fällen gleich nach Ende des Mutterschutzes wieder begonnen aufzutreten. „Sie sind beide im Oktober geboren, das ging wunderbar“, sagt sie. Und Damrau ist natürlich auch während der Schwangerschaft ihren bestehenden Verträgen nachgekommen. „Bei Alexander, unserem Ersten, habe ich damals im ‚Barbiere di Siviglia’ gesungen“, so Damrau. Und siehe: Als bei einem Künstlergespräch kurz vor der Geburt die Arie der Rosina gespielt wurde, begann’s im Bauch zu rumoren. „Er hat’s erkannt!“, lacht Damrau.

Seitdem sind die Eltern in der Bemessung der musikalischen Dosen für ihre Söhne vorsichtiger geworden. „Die Kinder sind ruhig und behütet“, sagt Damrau, „auch ohne Beschallung“. Bei der konzertanten „Maria Stuarda“ im kommenden Jahr an der Deutschen Oper Berlin kommt es übrigens zu einem Familientreffen auf der Bühne. Ehemann Nicolas Testé singt den Talbot. Bei Gounods „Faust“ dagegen – kurz danach, im Sommer 2018 – teilen sich die Eheleute die Vorstellungen. Damrau singt die Marguerite im Juni, Testé den Méphistophélès im Juli. Der Sängerberuf ist kinderfreundlich, denn „man hat freie Tage zwischen den Vorstellungen und kann die Kinder mitnehmen“, so Damrau. Er ist aber auch ehefreundlich. Man gluckt nicht notwendig immer aufeinander.

Das sind die familiären Hintergründe einer Sängerinnen-Karriere, wie sie erfolgreicher, kontinuierlicher und ‚beschleunigender’ selten zu erleben war. Damrau, geboren 1971 im bayerischen Günzburg, begann als Musical-Sängerin und leichte Soubrette. Heute singt sie mit Meyerbeer, mit den Belcanto-Queens und der „Traviata“ längst echte Diven-Rollen. Sie denkt über Elsa im „Lohengrin“ nach. Und will „auf jeden Fall die Marschallin“ in Strauss’ „Rosenkavalier“ singen.

Dazwischen lag ein „Traviata“-Erweckungserlebnis, bei dem sie – im Film von Franco Zeffirelli – von Teresa Stratas als Violetta Valéry nachhaltig auf genau die Spur gesetzt wurde, die sie bis heute verfolgt. „Der lyrische Koloratursopran ist meine Spezialität“, fasst sie ihr Fach zusammen. Das schließt nicht aus, dass sie die mögliche große Aussicht, „die Edita Gruberová von morgen“ zu werden, als eines der größten Komplimente betrachtet, das man ihr überhaupt machen kann.

Giacomo Meyerbeer bildet auf diesem Weg eine Zwischenstation, durch die sich Damrau von der Karriere der „eisernen Nachtigall“ Edita Gruberová durchaus unterscheidet. Meyerbeer ist es, auf den Damrau in letzter Zeit soviel Ehrgeiz und Aufwand verwendet hat wie auf keinen anderen Komponisten – und wie keine Sopranistin neben ihr. „Es ist ein Herzensprojekt, und ich habe viel Arbeit reingesteckt“, gibt sie zu. Sie bedauert, beim Meyerbeer-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin nicht dabei gewesen zu sein. „Die Inès im ‚Vasco da Gama’ wäre etwas für mich gewesen“ – in Berlin hat Nino Machaidze die Rolle gesungen.

„Man braucht eine ausgeprägte Fähigkeit zum Legato – und zum dramatischen Ausbruch“
(Diana Damrau)
 

„Wir wollten, dass alles super ausschaut“, so Damrau über das Cover ihres parallel zum Berliner Konzert erscheinenden Meyerbeer-Albums. Darauf singt sie zum Beispiel auch Dinorah, die Titelrolle der einzigen komischen Oper von Meyerbeer. „Obwohl es dort spritzige Duette, tolle Charakterrollen und großartige Musik gibt, würde ich auf der Bühne wohl nicht mitspielen wollen.“ Wir erinnern uns: Es ist die Oper mit der treuen Bergziege, welche die Heldin überallhin in die Berge begleitet... Auch von „L’Étoile du Nord“, „Emma di Resburgo“ oder „Le Prophète“ sind derzeit keine szenischen Auftritte geplant, weshalb der Berliner Termin im Mai eine rare Gelegenheit bleiben wird, Damrau als Meyerbeer-Sängerin zu erleben.

„Meyerbeers Werke entsprechen genau dem jetzigen Zustand meiner Stimme“, so Damrau bescheiden. „Man muss genau wissen, wo man als Sängerin steht, um diese Rollen singen zu können.“ Ungeschönter gesagt: Es handelt sich um Problemfälle für Sänger, die den Hintereingang zu diesem Paradies gewählt haben. Man muss vorne reinkommen: Protagonisten von Werken wie „Les Huguenots“, „Robert le Diable“ oder „Il crociato in Egitto“ – woraus sämtlich Arien von Diana Damrau gesungen werden – hatten zu Zeiten Meyerbeers ihre Erfahrungen in den Werken von Spontini, Auber, auch in französischen Rossini-Opern gesammelt. In Werken also, die heute kaum noch gepflegt werden, und die daher auch keine eigenen Sänger mehr hervorbringen können.

„Meyerbeer hat eigentlich für jeden Stimmtypus geschrieben“, so Damrau. „Für dramatische Tenöre ebenso wie für große lyrische Soprane.“ Nur komme es darauf an, dass ein Meyerbeer-Sänger „Belcanto-Fähigkeiten“ mitbringen muss: eine Gesangstechnik, die es erlaubt, „auch noch in den höchsten Regionen ein messa di voce anzubringen“. Hiermit ist das An- und Abschwellenlassen der Töne gemeint, ein Mittel der gesanglichen Verfeinerung und Raffinesse, das in heutigen, Wagnergewohnten Zeiten oftmals nicht mehr vollkommen beherrscht wird. „Man braucht eine ausgeprägte Fähigkeit zum Legato und zum dramatischen Ausbruch“: Eigenschaften, welche die große gesangliche Geste erfordern, ohne zu Vergröberung und zum dynamischen Frontalangriff einzuladen. Das ist der große Unterschied zwischen dem Belcanto und Meyerbeer einerseits und der Wagner-Tradition andererseits, so wie sie heute oft (miss-)verstanden wird und selbst auf internationalen Bühnen um sich greift.

Beim „Kehraus“, der von Wagner selbst seinerzeit mit Meyerbeers Opern getrieben wurde, mag auch ein fundamentaler gesangstechnischer Unterschied mitspielen. Freilich würde kein guter Wagner-Sänger heute auf die subtilen Mittel verzichten wollen, die im Belcanto und auch bei Meyerbeer unabdingbar sind. Wagner selbst sprach in Bezug auf die von ihm gewünschten Sänger von einem „vaterländischen Belcanto“: eine spezifizierte, für seine Opern mundgerecht gemachte Variante des Schöngesangs. Zwischen Meyerbeer und Wagner, wie man bei Damrau hören kann, besteht also kein echter Gegensatz. Es gibt eine Brücke.

„Man muss alle Register ziehen“, resümiert Damrau über die bei Meyerbeer nötigen Mittel. 2018 wird man sie in Berlin als Donizettis „Maria Stuarda“ erleben können, ihr Rollendebüt gibt sie kurz zuvor in Zürich. „Ich habe alle Tudor-Königinnen fest auf dem Schirm“, so Damrau. „Ab 2020/21 folgen Anna Bolena und die Königin in ‚Roberto Devereux’: Ich kann’s kaum abwarten!“

Schon immer waren Meyerbeers Werke tatsächlich eine Art Durchgangsbahnhof zur Weiterentwicklung. Der berühmte Meyerbeer-Tenor Léon Escalaïs steuerte von hier aus schwere Verdi-Rollen an, so etwa Manrico in „Il Trovatore“ und Radamès in „Aida“. Joan Sutherland, die als Marguerite de Valois – „die schönste Meyerbeer-Rolle“, so Damrau – Schallplattengeschichte schrieb, war in genau jenem Belcanto-Repertoire zuhause, das auch Diana Damrau favorisiert.

„Wir sind alle unterschiedliche Tierchen“, so Damrau. „Alles Unikate!“ Mit ihrer strategischen Rollenplanung, ohne die kein Sänger heute erfolgreich sein kann, hat sie eine beispielhafte Karriere auf internationaler Basis hingelegt. Als bekannteste deutsche Sängerin neben Anja Harteros, die allerdings bei Aufnahmen zurückhaltend bleibt, ist Diana Damrau das dreamboat schlechthin unter den lyrischen Sopranen. Etwa aus Gründlichkeit? Wohl schon. Für ihre Rollenrecherchen bei „Lucia di Lammermoor“ ließ sie sich vor Jahren in einer psychiatrischen Klinik in Günzburg vom diensthabenden Professor beraten. Schon in der ersten Arie, so erfuhr sie, leidet Lucia an „bipolaren Zügen“. Für Meyerbeer dagegen muss sie nicht in die Klinik gehen. Dafür braucht sie nur in Topform zu sein.

Dieses Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser für die Beilage der Deutschen Oper Berlin in der Berliner Morgenpost, Mai 2017.

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